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Einstellungen im „Antifa-Sportgruppe“-Verfahren in Dresden

Peer Stolle
Einleitung

Ein typisches Beispiel für den Einsatz des §129 StGB gegen Antifaschist_innen 

In dem umfangreichen Ermittlungsverfahren gegen Antifaschist_innen aus Dresden und Umgebung wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung gem. §129 StGB wurde Ende Mai 2014 das erste Verfahren gegen einen Betroffenen eingestellt. Im September 2014 wurden dann gegen die übrigen mindestens 21 Beschuldigten die Verfahren eingestellt.

Die „Antifa-Sportgruppe“ — Ein Hirngespinst von Neonazis und Staatsanwaltschaft

In den Jahren 2008 bis 2010 soll es in Dresden eine Reihe von gewaltsamen Übergriffen von vermeintlichen oder tatsächlichen Antifaschist_innen auf Neonazis gegeben haben. Laut Zeug_innenaussagen sollen die Täter_innen in der Regel schwarz angezogen und vermummt gewesen sein. Tatverdächtige konnten nicht namentlich bekannt gemacht werden. Im Rahmen dieser Verfahren wurden unter anderem stadt­bekannte Dresdner Neonazis von der Polizei vernommen, die behauptet haben sollen, dass sie über Informationen zu den Übergriffen verfügen würden, insbesondere Personen namhaft machen könnten und diese Informationen an die Polizei weiterleiten würden. Einer der vernommenen Neonazis habe auch behauptet, dass diese Leute von seinen Freunden „Sportgruppe-Antifa“ genannt werden.

Diese nicht näher belegten Behauptungen und Vermutungen nahmen das LKA Sachsen, die KPI (Kriminalpolizeiinspektion) und die Staatsanwaltschaft Dresden zum Anlass, von der Existenz einer kriminellen Vereinigung „Antifa-Sportgruppe“ auszugehen, die für sämtliche gewalttätigen Übergriffe auf Neonazis in Dresden verantwortlich zu machen sei. Daraufhin wurde im Mai 2010 seitens der Staatsanwaltschaft Dresden ein Ermittlungsverfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung eingeleitet, mit dem die bisherigen Einzelverfahren zusammengeführt worden sind.
Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens wurde — für ein §129er-Verfahren üblich — eine Reihe von sehr grundrechtsintensiven Ermittlungsmaßnahmen ergriffen. Es wurden Telefonüberwachungen geschaltet, vermeintliche Treffpunkte mit Videokamera über mehrere Wochen überwacht, Beschuldigte observiert und Wohnungen durchsucht. In der Öffentlichkeit wurde dieses Verfahren das erste Mal bekannt, nachdem am 19. Februar 2011 in Dresden in dem gesamten Bereich, in dem die Proteste gegen den alljährlichen Naziaufmarsch stattfanden, Funkzellenabfragen erfolgt sind.

Permanente Ausweitung des Beschuldigtenkreises

Ins Fadenkreuz der Ermittler konnte Jede_r geraten. Es reichte aus, wenn die Staatsanwaltschaft davon ausging, dass die Person der sächsischen Antifa-Szene angehören würde. Es war egal, ob es sich um Aktionen handelte, die spontane Reaktionen auf vorangegangene Provokationen von Neonazis darstellten, ob überhaupt Vermutungen be­züglich des Täter_innenkreises vorlagen oder ob es sich bei den Sachverhalten überhaupt um strafbares Verhalten gehandelt haben könnte. Die Behauptung, dass sämtliche Straftaten von Mitgliedern einer kriminellen Vereinigung begangen worden sein sollen, wurde mit einer angeblich augenscheinlichen körperlichen Fitness der vermeintlichen Täter_innen begründet. Außerdem könne man von einem „Kennverhältnis“ ausgehen, da bei den Taten keine Kommandos gegeben worden sein sollen. Der Umstand, dass auch der 60-jährige Jenaer Jugendpfarrer Lothar König nach Ansicht der Ermittlungsbehörden Mitglied dieser kriminellen Vereinigung sein soll, der zwar nicht für seine körperliche Fitness, aber für seine Megafon- und Lautsprecherdurchsagen bei Demonstrationen bekannt ist, belegt die Absurdität der Ausgangsthese der Ermittler.

Von den eigentlichen Voraussetzungen, die ein Verfahren gem. §129 StGB rechtfertigen könnten, ließ sich die Staatsanwaltschaft Dresden nicht beirren. Bei einer Vereinigung im Sinne dieses Paragraphen muss es sich um eine feste Organisation handeln, der Zusammenschluss von mindestens drei Personen muss auf einige Dauer angelegt sein und darf sich nicht in der Vereinbarung eines einmaligen Zwecks erschöpfen. Die Ermittler konnten lediglich zusammentragen, dass sich einige der Beschuldigten untereinander kennen und gelegentlich auch miteinander telefonieren. Dabei konnte noch nicht einmal festgestellt werden, dass sich sämtliche Beschuldigte untereinander kennen. Als Beleg für die Existenz einer kriminellen Vereinigung wurde schon der Besitz von Flyern, Fahnen, Zeitschriften und Büchern herangezogen, die einen Bezug zu einer antifaschistischen Grundeinstellung indizieren — offenbar in Sachsen ein Indiz für kriminelle Energie.

Informationssammlung und Einschüchterung sind das eigentliche Ziel

Dem Antifaschisten, dessen Verfahren jetzt im Mai eingestellt wurde, wurde vorgeworfen, in einem Auto, in dem sich ein weiterer Beschuldigter befunden haben soll, von der Polizei kontrolliert worden zu sein. Außerdem habe er telefonischen Kontakt zu einem weiteren Beschuldigten gehabt. Des weiteren soll er versucht haben, Proteste gegen eine Aktion von Neonazis auf dem Dresdner Altmarkt zu organisieren. Schließ­lich soll sein Mobilfunkgerät zu einem Zeitpunkt in einer Funkzelle eingeloggt gewesen sein, zu dem einerseits ein Straßenfest mit mehreren tausend Besucher_innen und andererseits eine Auseinandersetzung mit Neonazis stattgefunden habe soll. Das war’s. Das reichte.

Diese, noch nicht mal im Ansatz die Annahme eines irgendwie gearteten Verdachts auf eine Straftat belegenden Indizien reichten nicht nur aus, gegen den Antifaschisten ein Ermittlungsverfahren wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung einzuleiten und ihn mit einer Vielzahl von grundrechtsintensiven Maßnahmen zu überziehen. Er wurde auch kurzerhand zum „Rädelsführer“ dieser kriminellen Vereinigung gemacht; getreu nach dem Motto, wer noch nicht mal ansatzweise mit Straftaten, die der kriminellen Vereinigung zugerechnet wurden, in Verbindung gebracht werden kann, muss daher der „Hintermann“ und „Strippenzieher“ sein — in Mafiakreisen würde man ihn als Paten bezeichnen.

Dieses Verfahren zeigt mit aller Deutlichkeit, dass es sich bei dem §129 StGB um einen reinen Ermittlungsparagraphen handelt, der das Ziel hat, politische Szenen auszuforschen und ihre Arbeit zu behindern. Schon Spekulationen und Behauptungen reichen aus, um schwer wiegende Grundrechtseingriffe zu rechtfertigen. Das Vorgehen der Dresdner Staatsanwaltschaft bestätigt mal wieder die Notwendigkeit der Abschaffung dieses Paragraphen.

Erhebliche Distanz zu Recht und Gesetz

Nach Erhebung mehrerer Dienstaufsichtsbeschwerden gegen den ermittlungsführenden Staatsanwalt und seinen Abteilungsleiter wurde nun das Ermittlungsverfahren gegen den Betroffenen nach mehr als drei Jahren eingestellt. Aufgrund der Nichtexistenz von belastbaren Indizien war die Einstellung des Verfahrens wegen mangelnden hinreichenden Tatverdachts gem. § 170 Abs. 2 StPO zwingend. Stattdessen wurde das Verfahren wegen angeblich geringer Schuld gem. § 153 Abs. 1 StPO eingestellt.

Eine solche Einstellung dient eigentlich der Verfahrenserledigung in Fällen von Bagatellkriminalität. Mit der Auffassung, dass die Rädelsführerschaft in einer kriminellen Vereinigung auf die gleiche Stufe zu stellen wäre wie Ladendiebstahl, steht die Staatsanwaltschaft Dresden wohl alleine. Diese Begründung steht auch im krassen Gegensatz zu dem erheblichen Ermittlungsaufwand, den die sächsischen Ermittlungsbehörden an den Tag gelegt haben und der zu keinerlei Bestätigung der imaginären Vereinigung geführt hat. Dass die Ermittlungsergebnisse nicht einmal dazu reichen, die Staatsanwaltschaft zur Anklage des vormals als Rädelsführer der angeblichen kriminellen Vereinigung Beschuldigten zu bewegen, ist bemerkenswert. Hier haben die Dresdner Behörden ein Zeichen gesetzt, das darauf hindeutet, dass das komplette „Sportgruppen“-Verfahren vorrangig dem Ausspähen antifaschistisch engagierter Personen dient und tatsächliche Strafverfolgung nur eine Nebenrolle spielt.

Würde sich die Dresdner Staatsanwaltschaft an Recht und Gesetz halten, hätte sie das Verfahren wegen mangelnden hinreichenden Tatverdachts einstellen müssen. Das wäre die einzige richtige Konsequenz gewesen. Dass sie das nicht getan hat, zeigt ein weiteres Mal, dass die Staatsanwaltschaft Dresden scheinbar rechtliche Vorgaben für sich als nicht bindend ansieht. Mit dieser Vorgehensweise will sie vermeiden, die Haltlosigkeit der von ihr erhobenen Vorwürfe einzugestehen. Durch diese rechtswidrige Vorgehensweise erschwert sie dem Betroffenen, ihm zustehende Entschädigungsansprüche geltend zu machen. Dies zeigt zum wiederholten Mal, dass die sächsischen Ermittlungsbehörden bei der Verfolgung von Antifaschist_innen scheinbar zu jeder Verletzung von Recht und Gesetz bereit sind. 

Peer Stolle ist Rechtsanwalt in Berlin und Mitglied im Vorstand des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV) und hat den Beschuldigten, von dessen Einstellung hier die Rede ist, verteidigt.