Skip to main content

Ende der Aufklärung: Die offene Wunde NSU

Andreas Förster
Einleitung

Der 6. Strafsenat des Münchner Oberlandesgerichts hat sich genau 650 Tage Zeit gelassen, um seinen Richterspruch vom 11. Juli 2018 gegen die NSU-Terroristin Beate Zschäpe und vier Helfershelfer der rechten Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU)  zu begründen. Doch liest man sich die mehr als 3000 Seiten umfassende Urteilsbegründung durch, die der Vorsitzende Richter Manfred Götzl und seine Kollegen am 21. April dieses Jahres – einen Tag vor Ablauf der vorgeschriebenen Frist von 93 Wochen – vorgelegt haben, dann bleiben Zweifel, ob das Urteil vor dem Bundesgerichtshof Bestand haben wird.

Bild: Screenshot ZDF

Szene aus der eigenen Videoüberwachung der NSU-Wohnung in Zwickau. Unklar ist jedoch, ob das Trio immer zusammenlebte.

Diese Zweifel waren schon kurz nach der Urteilsverkündung aufgekommen. Im Zentrum der Kritik standen vor allem die Schuldsprüche gegen zwei Angeklagte: Der gegen Beate Zschäpe, die wegen gemeinschaftlichen Mordes und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt worden war, obgleich sie nie in der Nähe eines Tatorts gewesen ist, keine Waffen beschafft und an keiner der angeklagten Taten direkt – und aus ihrer Sicht auch nicht indirekt – mitgewirkt hatte; und das milde Urteil gegen den engsten Vertrauten und Freund des Zwickauer Kerntrios, den Neonazi André Eminger. Ihm billigte das Gericht überraschend die geringste Mitschuld aller Angeklagten zu und verurteilte ihn zu einer eher symbolischen Haftstrafe von zweieinhalb Jahren.

Die Schwächen des NSU-Verfahrens beziehen sich aber nicht nur auf die umstrittene Urteilsbegründung, die sich erst noch im Revisionsverfahren bewähren muss. Das größte Manko des Verfahrens ist, dass die Ermittlungsbehörden es versäumt haben, die tatsächliche Dimension dieser rechten Terrorserie aufzuklären. Zahlreiche Indizien und Hinweise auf einen größeren Kreis von Mittätern und Mitwissern wurden nicht verfolgt, um einen schnellen Abschluss der Ermittlungen zu erreichen. Dadurch aber blieben Widersprüche in der offiziellen Darstellung von Tatablauf und Täterkreis ungeklärt und zahlreiche offene Fragen unbeantwortet.
Im Folgenden dokumentieren wir die wichtigsten offenen Fragen im NSU-Fall:

Wer hat die NSU-Morde begangen?

Dafür, dass ausschließlich Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt alle zehn Morde begangen haben, gibt es bis heute keine eindeutigen Beweise. Zwar wurden unter anderem die Tatwaffen, die bei den neun Morden an Migranten und dem Polizistenmord von Heilbronn verwendet worden waren, im Brandschutt der Zwickauer Wohnung sichergestellt. Auch die Dienstwaffen und Ausrüstungsgegenstände der überfallenen Polizisten fanden sich beim Trio. In der Zwickauer Wohnung lag zudem eine offenbar seit 2007 ungewaschene Trainingshose mit Blutflecken der getöteten Polizistin und einem Taschentuch, das DNA-Spuren von Uwe Mundlos aufwies. Zudem fand sich dort eine Skizze mit den Räumlichkeiten des Kasseler Internetcafes, wo 2006 der letzte Ceska-Mord begangen wurde.

DNA-Spuren oder Fingerabdrücke an den Tatwaffen gibt es jedoch nicht. Auch konnten Mundlos und Böhnhardt für die Tatzeiten der ersten vier Morde in den Jahren 2000/2001 keine Fahrzeuganmietungen nachgewiesen werden. Die Phantomzeichnung eines der mutmaßlichen Täter von Heilbronn, die der durch einen Kopfschuss verletzte Polizist nach seiner Gesundung unter Hypnose erstellen ließ, zeigt zudem einen völlig anderen Personentyp als die beiden Verdächtigen. All das weist darauf hin, dass sich neben den beiden toten Neonazis noch andere, bislang unbekannte NSU-Mitglieder an den Morden beteiligt haben könnten.

Wer ist für die beiden Bombenanschläge von Köln verantwortlich?

Auch hier gibt es Indizien für die Mitwirkung bislang unbekannter Täter hin. So existieren zwar Aufnahmen einer Überwachungs­kamera, die zwei Männer, die Mundlos und Böhnhardt ähneln, dabei zeigen, wie sie das Fahrrad mit der Bombe am 9. Juni 2004 in die Keupstraße schieben. Unklar aber ist, woher die Bombe stammt: Experten des Landeskriminalamtes von NRW hatten sie als einen professionell konstruierten Sprengsatz bezeichnet, zu dem es keine Bauanleitung im Internet gibt. Trotz der Bombenwerkstatt in Jena galten die beiden Neonazis aber nicht als Sprengstoffexperten. Es gibt auch keinen Hinweis darauf, dass sie während ihrer Zeit im Untergrund mit Explosivmaterial hantiert haben.

Die Experten hatten zudem gesagt, der Transport der Bombe sei gefährlich gewesen. Das ist auch daran zu erkennen, dass der Täter laut Zeugenaussagen und dem Überwachungsvideo das Fahrrad mit dem Sprengsatz auffallend vorsichtig durch die Straße schiebt. Der Anklage zufolge sollen Mundlos und Böhnhardt aber das Fahrrad mit der fest montierten Bombe in einem von ihnen gemieteten VW Touran zusammen mit zwei Mountainbikes aus Zwickau nach Köln transportiert haben. Wahrscheinlicher ist es daher, dass sie erst in Köln die Bombe in Empfang nahmen. Bleibt nur die Frage: Von wem?

Bei dem ebenfalls dem NSU zugeschriebenen Bombenanschlag auf das von einem Iraner betriebene Lebensmittelgeschäft in der Kölner Probsteigasse im Januar 2001 gibt es ebenfalls Widersprüche. Die Stollenbüchse, die den Sprengsatz enthielt, war vor Weihnachten 2000 in dem Geschäft von einem jungen Mann abgegeben worden. Laut Anklage habe es sich dabei um Mundlos oder Böhnhardt gehandelt. Die Betreiber des Geschäfts, die den Täter gesehen hatten, konnten auf den Fotos aber keinen der beiden identifizieren. Dagegen wies die Phantomzeichnung des Verdächtigen, die nach den Angaben der Betreiber des Geschäfts nach der Tat angefertigt wurde, eine auffällige Ähnlichkeit mit einem damals sehr aktiven Kölner Neonazi auf, der zur Tatzeit V-Mann des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes war. Der Mann bestreitet aber, etwas mit dem Attentat zu tun gehabt zu haben.

Gehörten der Terrorgruppe NSU noch mehr Mitglieder an als Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe?

Für weitere Helfer oder gar NSU-Mitglieder sprechen unter anderem die DNA-Spuren, die an diversen Gegenständen im Wohnmobil und in der Zwickauer Wohnung gesichert wurden. Denn nicht alle diese genetischen Fingerabdrücke konnten dem Trio oder bekannten Unterstützern zugeordnet werden. Insgesamt sind mindestens 30 DNA-Spuren an Asservaten – darunter an Waffenteilen, schriftlichen Unterlagen und Datenträgern – noch nicht identifiziert worden. So wurde etwa eine unbekannte DNA-Spur an einer Plastikflasche mit Erdbeermilch isoliert, die im Kühlschrank des bei Eisenach ausgebrannten Wohnmobils stand. Dieselbe DNA-Spur, in den Akten als P12 bezeichnet, fanden die Ermittler an weiteren sieben Asservaten aus der Wohnung in der Frühlingsstraße – darunter schriftliche Unterlagen, eine Diskette, ein Munitionsteil sowie ein Rucksack, der vermutlich für einen Bankraub in Chemnitz benutzt wurde. Der genetische Code der unbekannten Person P12 konnte im Juli 2012, also mehr als ein halbes Jahr nach dem Auffliegen des Trios, an einem Verbrechenstatort in Berlin sichergestellt werden. Er befand sich an der Hülse einer Patrone, die auf zwei Mitglieder des Rockerclubs Bandidos abgefeuert worden war.

Für einen größeren Täterkreis sprechen auch Auffälligkeiten im Kommunikationsverkehr der Zwickauer NSU-Zelle. So ging auf einem der vom Trio bis zuletzt genutzten Handys zwischen Juni und November 2011 monatlich jeweils eine Kurznachricht von wechselnden Telefonnummern ein, die unter einer Scheinidentität angemeldet waren. Inhaber dieser Handyverträge waren also Personen, die unter den jeweils angegebenen Daten wie Wohnanschrift und Geburtsdatum bei den Behörden nicht registriert sind. Bemerkenswert ist dabei, dass außer dieser einen Kurznachricht keine weiteren Anrufe oder SMS von den betreffenden Nummern auf einem der Telefonanschlüsse des Trios registriert wurden. Auch kamen diese geheimnisvollen SMS – deren Inhalt unbekannt ist – jeweils im letzten Drittel jedes Monats an. Waren diese regelmäßigen Kurznachrichten vielleicht Aufforderungen zur konspirativen Kontaktaufnahme mit Vertrauenspersonen des Trios?

Spuren führen auch zu möglichen Unter­stützern und Mittätern in Neonaziszenen außerhalb von Sachsen und Thüringen. So fand sich etwa in der Frühlingsstraße ein Asservat, das in die Dortmunder Neonazi­szene weisen könnte. Dabei handelt es sich um eine Verpackung für Patronen des Typs, die für die Ceska-Morde verwandt wurden. Auf diese Verpackung hat jemand „Siggi“ geschrieben, wobei das Doppel-g mit SS-Rune geschrieben wurde. Das galt in Teilen der Neonazi-Szene auch als eine Art Erkennungszeichen von Siegfried Borchardt, der seit vielen Jahren in der gesamten deutschen Neonaziszene als „SS-Siggi“ eine Größe ist. Und dieser Borchardt wohnte in der gleichen Straße, wo sich der Laden von Mehmet Kubaşık befand, der am 4. April 2006 vom NSU erschossen wurde.

Warum gab es in der Ceska-Mordserie zwischen den ersten vier Taten und dem fünften Mord im Jahr 2004 fast drei Jahre Pause?

Die Gründe hierfür sind nicht geklärt. Möglicherweise fürchteten die Täter den großen Fahndungsdruck nach den ersten Morden. Aber noch ein anderer Aspekt dürfte eine Rolle spielen: Zwischen Dezember 1998 und Juli 2001 hatten Mundlos und Böhnhardt bei fünf Raubzügen insgesamt mehr als 300.000 D-Mark erbeutet. Das Geld und der Umzug in die Wohnung in der Zwickauer Polenzstraße im Mai 2001 könnten damit zu tun haben, dass sie in der Verbrechensserie eine Pause einlegten.

Unklar bleibt, warum die Ceska-Morde nach der neunten Tat in Kassel am 6. April 2006 aufhören. Mundlos und Böhnhardt sollen danach noch zwei Bankraube verübt und dabei rund 250.000 Euro erbeutet haben. Mit dem Polizistenmord in Heilbronn im April 2007 endet ihre Verbrechensserie ein zweites Mal, diesmal für mehr als vier Jahre.
Auffallend ist zudem, dass sie zum gleichen Zeitpunkt damit beginnen, ihren Lebensstil zu verändern. Sie ziehen aus einem sozial schwachen Altbauviertel in eine größere Wohnung in einem bürgerlichen Stadtteil von Zwickau um. Ihr Leben wird aufwändiger, sie machen lange Urlaube, mieten regelmäßig Wohnmobile und Pkw, fahren teure Fahrräder. Sowohl im Wohngebiet als auch in den Urlauben suchen sie bewusst und aktiv soziale Kontakte. An Urlaubsbekanntschaften schicken sie Fotos und Videos von sich, geben ihnen Telefonnummer und Mailadressen. Ein Leben im Untergrund führen die Drei spätestens ab 2007 nicht mehr. Sie scheinen sich in Siche­rheit zu fühlen.

Wie haben sich die Drei über die Jahre hinweg finanziert?

Die Ermittler gehen davon aus, dass sie Geld ausschließlich durch Banküberfälle erhalten haben. Aber auch wenn Mundlos und Böhnhardt alle 15 Raubüberfälle begangen haben, die ihnen zur Last gelegt werden, bleibt die Frage, ob das die einzige Geldquelle war. Legt man die Gesamtbeute der Überfälle zugrunde, hatten sie jährlich zwischen 35.000 und 50.000 Euro zur Verfügung – also drei- bis viertausend Euro pro Monat. Ob das aber ausgereicht hat für das Leben im Untergrund, das die Drei führten, ist fraglich. Einen Beleg dafür, dass sie einer Arbeit nachgingen, gibt es auch nicht. Denkbar wäre daher, dass sie noch aus anderen, bislang unbekannten Straftaten Gewinn zogen.

Haben die Drei immer zusammen­gelebt?

Anwohner aus der Polenzstraße, wo das Trio zwischen Mai 2001 und Anfang 2008 wohnte, sagten aus, dass Zschäpe mitunter wochenlang allein in der Wohnung war. Auch hätten sie den Eindruck gehabt, dass nur einer der beiden Männer – vermutlich Böhnhardt – mit der Frau in der Wohnung lebte, während der andere nur zeitweise zu Besuch war. Die häufige Abwesenheit von Mundlos und Böhnhardt hatten auch Nachbarn in der Frühlingsstraße beobachtet. Tatsächlich fanden sich in der ausgebrannten Wohnung nur auffallend wenige männliche Kleidungsstücke. Die meisten davon waren zudem in Böhnhardts Größe. Auch befanden sich im Badezimmer der Wohnung nur zwei Zahnbürsten. Auffallend war zudem, dass der monatlich abgerechnete Wasserverbrauch der Wohnung eher dem eines Ein-Personen-Haushaltes glich.

Warum hatten Mundlos und Böhnhardt mehr als 20.000 Euro aus einem früheren Bankraub, die verräterischen Dienstwaffen der Heilbronner Polizisten und die NSU-Bekennervideos bei sich, als sie am 4. November 2011 zum Banküberfall nach Eisenach fuhren?

Eine Erklärung dafür gibt es nicht. Es ist schwer vorstellbar, dass eine Terrorgruppe, die fast 14 Jahre lang umsichtig ihr Leben im Untergrund tarnte, ohne Not solch ein Risiko eingeht. Denkbar wäre, dass Mundlos und Böhnhardt in den Tagen zuvor ein Versteck oder eine zweite geheime Wohnung geräumt haben, in der bis dahin Geld und Waffen lagerten. Dafür würde auch die große Zahl von Waffen sprechen, die zu dieser Zeit in der Frühlingsstraße lagen. Möglicherweise lagerten die Waffen auch nur vorübergehend in der Wohnung, weil sie dem Trio von unbekannten Komplizen zur vorübergehenden Aufbewahrung übergeben worden waren. Es ist jedenfalls kaum anzunehmen, dass ein solch großes Arsenal einschließlich der Tatwaffen von zehn Morden ständig in der Wohnung in der Frühlingsstraße vorgehalten wurde – immerhin gab das Trio jedes Jahr, wenn es wochenlang in den Urlaub fuhr, die Wohnungsschlüssel an ein fremdes Ehepaar ab, das die Katzen betreute.

Vorstellbar ist auch, dass das Trio oder auch nur die beiden Männer nach dem 4. November 2011 an einen neuen Zufluchtsort umziehen wollten. Für einen solchen bevorstehenden tiefgreifenden Wechsel im Leben des Trios würde auch der Umstand sprechen, dass sich Zschäpe wenige Tage vor dem 4. November sehr innig von einer früheren Freundin in der Polenzstraße verabschiedet hatte. Hatte sie vor, sich von ihren beiden Freunden zu trennen und in ein legales Leben zurückzukehren?

Was geschah am 4. November 2011 im Wohnmobil?

Die tatsächlichen Abläufe sind noch immer ungeklärt. Zwei Polizisten hatten gegen 12 Uhr mit ihrem Streifenwagen in der Nähe des abgestellten Wohnmobils gehalten und waren zu dem Fahrzeug gelaufen. Als sie es erreicht hatten, vernahmen sie zwei Knallgeräusche; kurz darauf sahen sie Rauch aus dem Auto aufsteigen.

Die tödlichen Schüsse und das Entfachen des Feuers haben sich innerhalb eines Zeit­raums von sieben bis 20 Sekunden abgespielt. So schildern es die beiden Poli­zei­beamten. Dafür, dass aus dem Fahrzeug heraus auf sie geschossen wurde, wie es auch in der Anklage gegen Beate Zschäpe heißt, gibt es keine Spuren. Offenbar, das zeigen Fotos der Spurensicherung aus dem Inneren des Wohnmobils, waren Mundlos und Böhnhardt auf ein mögliches Feuergefecht mit der Polizei eingestellt. Beide hatten Pumpguns zur Hand. Auf der Sitz­ecke lag eine Maschinenpistole mit ausgeklapptem Schulterstück, auf dem Boden im Bad eine der beiden beim Polizistenmord in Heilbronn geraubten Dienstpistolen. Die andere lag griffbereit auf dem Tisch in der Sitzecke. Auf dem Herd lag ein Revolver, auf dem Bett im Heck des Fahrzeugs eine weitere Pistole. Sieben Waffen, alle waren durchgeladen. Dennoch entschieden sich die beiden mutmaßlichen Killer innerhalb weniger Sekunden zum Selbstmord. Oder gab es einen Streit? Nach offizieller Darstellung tötete Mundlos Böhnhardt mit einem Schuss in die Schläfe und anschließend sich selbst.

Tatsächlich lag die Leiche von Uwe Böhnhardt im Mittelgang den Fahrzeugs, mit den Füßen zum Fahrerhaus. Unter seinem Körper war eine durchgeladene, aber nicht abgefeuerte Pumpgun. Im hinteren Teil des Innenraums, vor Böhnhardts Kopf, lag die Leiche von Uwe Mundlos. Zu seinen Füßen eine zweite Pumpgun, mit der er sich offenbar in den Mund geschossen hatte. Die Patronenhülse des tödlichen Schusses, die eigentlich erst beim Durchladen nach einem Schuss herausfällt, fand sich neben ihm auf dem Boden.

Unklar ist auch, wie das Feuer ausbrechen konnte: Der Brandherd ist offensichtlich auf dem hinteren Platz in der Sitzecke. Aber was hat hier gebrannt? Die Experten vermuten, dass Mundlos dort einen Papier­stapel angezündet hat. Spuren von einem Brandbeschleuniger hat man nicht gefunden. Mundlos erschießt Böhnhardt, muss über die Leiche steigen, um Papier zusammenzuraffen und anzuzünden, sich dann wieder hinsetzen und in den Mund schießen – alles in maximal 20 Sekunden?

Wie hat Zschäpe am 4. November 2011 in Zwickau von dem Tod ihrer Freunde in Eisenach erfahren?

Auch das ist nach wie vor unklar. Zschäpe hat vor Gericht gesagt, sie habe im Radio vom Fund zweier Leichen in einem Wohnmobil bei Eisenach gehört. Aber wie konnte sie sicher sein, dass es sich dabei um ihre beiden Freunde handelte? Ausweislich des PC-Protokolls surfte sie an diesem Tag bis kurz vor halb 3 und rief um 14.28 Uhr das letzte Mal eine Internetseite auf, die sie bei Google mit den Begriffen „fleisch von freilaufenden tieren zwickau“ gesucht hatte. Zwei Minuten später schaltete sie den PC aus und begann sofort damit, in aller Eile ihre Flucht vorzubereiten. Einen Anruf hat sie in dieser Zeit über ihre bekannten Telefonnummern nicht erhalten. Sie muss also auf anderem Wege, über eine Person ihres Vertrauens, die Nachricht aus Eisenach erhalten haben.

Wer hat die Umschläge mit den Bekenner­videos verschickt?

Ankläger und Gericht sind überzeugt, dass dies Zschäpe getan hat. Und auch in ihrem späten Geständnis vor Gericht sagte sie aus, sie habe auf ihrer Flucht nach dem 4. November 2011 fertig adressierte und frankierte Briefumschläge mit dem NSU-­Bekennervideo aus der Wohnung mitgenommen und in die Post gegeben. Nur auf einem der sichergestellten Umschläge sind jedoch Fingerabdrücke von Zschäpe gefunden worden, auf den restlichen gab es keinerlei Spuren oder DNA von ihr oder ihren beiden Freunden. In mindestens einem Fall, in Nürnberg, hatte das Video zudem in einem unfrankierten Umschlag den Adressaten erreicht.

Warum begann Mitarbeiter in Bundes- und Landesämtern des Verfassungsschutzes und im Bundesinnenministerium unmittelbar nach dem Auffliegen des NSU damit, ein halbes Jahr lang ­Akten zu vernichten?

Vier Dutzend V-Leute des Geheimdienstes waren vom Untertauchen des Trios an bis zum Ende der NSU-Mordserie 2007 im näheren und weiteren Umfeld der Drei positioniert. Dennoch will der Verfassungsschutz mit Beginn der Mordserie im Jahr 2000 angeblich keine Informationen mehr über das Trio erhalten oder an das Innenministerium weitergegeben haben. Überprüfen lässt sich das wegen der geschredderten Akten, die nur zum Teil wiederhergestellt werden konnten, nicht mehr. Unklar bleibt auch die Rolle des hessischen Verfassungsschützers Andreas Temme, der sich zum Zeitpunkt des Mordes an Halit Yozgat in dem Kasseler Internetcafé aufhielt, von der Tat aber angeblich nichts mitbekommen haben will.