Frankreich: Unité radicale: Die Stunde Null
der antifaschistischen Zeitschrift REFLEXes (Frankreich) (Gastbeitrag)Am 14. Juli diesen Jahres, dem französischen Nationalfeiertag, wurden in der französischen Bevölkerung zugleich Unité radicale (UR) und Maxime Brunerie, der Verantwortliche des verfehlten Attentats auf den Präsidenten Jacques Chirac, bekannt. Fast jede Zeitung wollte einen historischen Überblick über die Bewegung, sowie eine Biografie von Brunerie. Und alle freuten sich über das Verbot von UR.
Das Attentat selbst ist nicht von großem Interesse: Einige Elemente zeigen, dass es amateurhaft vorbereitet und verübt wurde: Das Gewehr, in einem Gitarrenkasten versteckt, war erst drei Wochen vor dem 14. Juli gekauft worden. Brunerie, Anhänger von UR war ein Einzeltäter, aber für die Unité radicale waren seine Schüsse von großer Bedeutung, und sie wusste sie auszunutzen.
Diese Organisation, im Frühling 1998 gegründet, stammt aus verschiedenen Gruppierungen des französischen rechtsradikalen Spektrums: Nachdem Christian Bouchet und Fabrice Robert, die beiden Führer der nationalrevolutionären Bewegung der neunziger Jahre, den »Appell der 31 für die nationalrevolutionäre Einheit« initiiert hatten, schlossen sich die Groupes Union Défense (GUD), eine gewalttätige rechtsextreme Studentengruppe, der nationalrevolutionären Organisation Nouvelle Résistance an. Dadurch entstand eine neue Dynamik in der rechtsradikalen Szene, die aber durch die Hegemonie des Front National (FN) geschwächt wurde.
Bei der Spaltung des FN, die Ende 1998 die Gründung von Bruno Mégrets eigener Partei, des Mouvement National Républicain (MNR), zur Folge hatte, dachte sich Unité radicale, dass sie dabei politisches Gewicht gewinnen könnte, indem sie die eine oder die andere rechtsextremistische Partei unterstützen würde. Trotz ihrer vielen Aktivitäten (Propaganda, Demonstrationen und Angriffe), die an das »goldene« Zeitalter der GUD in den siebziger Jahren erinnerten, gelang es aber der UR nicht, ihren Platz in der rechtsextremistischen politischen Szene zu behalten, erstens wegen ihrer politischen Unreife und zweitens wegen ihrer stets falsch orientierten politischen Strategie (siehe die Entscheidung, die vor dem Bankrott stehende MNR anstatt den FN zu unterstützen).
In diesem Sinne war UR schon vor dem Attentat Bruneries auf dem Weg zum Untergang. Egal, was die Befürworter des Verbotes sagen möchten, die Gruppe hatte schon am Anfang des Sommers ihre Bilanz gezogen. Christian Bouchet, eine führende Persönlichkeit, wurde nach geheimen Verhandlungen von seinen ehemaligen Genossen Fabrice Robert und Guillaume Luyt dazu gezwungen, die Gruppe zu verlassen. Dadurch war die Gruppe gelähmt, weil diese beiden, die sich nur um ihre eigenen Geschäfte kümmerten, der Aufgabe von Bouchet nicht gewachsen waren. Allein die Webseite, deren Webmaster Fabrice Robert ist, war noch mehr oder weniger aktiv. Verschiedene Sektionen (Paris, Valenciennes) verschwanden einfach, und die aus der Provinz, die früher schon die größte Dynamik zeigten (Lille, Nancy, Strasbourg), fanden unter den Namen GUD oder Unité radicale wieder ihre Autonomie.
Die Stunde der Bilanz
Die Existenz von UR bedeutete für lokale Gruppen eine Möglichkeit, stärker zu werden, und für mehrere Persönlichkeiten der extremen Rechten (Eddy Marsan, Roland Gaucher, Sébastien Legentil, André-Yves Beck) einen politischen Raum, in dem sie agieren konnten. Bouchets Energie und die technischen Mittel und Kompetenzen anderer (wie Fabrice Robert zum Beispiel) erlaubten es den Rechtsradikalen, relativ gut an die Öffentlichkeit zu treten. Die Organisation verfügte nicht nur über die schon erwähnte Webseite, sondern auch über zwei Zeitschriften, die regelmäßig erschienen. Ansonsten organisierten sie jedes Jahr öffentliche Zusammenkünfte: Am 1. Mai demonstrierten sie nach der Demo des FN, am 9. Mai machten sie einen Fackelzug in Paris, in Erinnerung an einen verstorbenen Aktivisten1 , am 11. November organisierten sie ein Symposion in Nîmes und jedes Jahr gab es in Paris eine Art Kongress »Les Assises de la Radicalité«, wozu sie auch Aktivisten aus dem Ausland einluden.
Letztes Jahr waren zum Beispiel drei Mitglieder der NPD dabei, deren Reden die französischen rechtsradikalen Zuhörer begeisterten. Hinzu kommt noch die so genannte kulturelle Szene, die sich als Rock Identitaire Français (RIF) bezeichnet. Diese Aktivitäten waren zwar öffentlich geworden, aber sie waren nicht sehr bekannt. Das »nationalrevolutionäre« Gedankengut blieb immer dasselbe ohne sich weiterzuentwickeln, nur im Bereich Rassismus änderte sich etwas, indem die nationalrevolutionäre Ideologie immer rassistischer wurde. Für sie sollte der »ethnische Krieg« sofort ausbrechen, und sie analysierte alle weltpolitischen Entwicklungen nach dem Muster der so genannten »jüdischen Verschwörung«. Die Unterstützung der MNR durch die UR führte sie in die Bedeutungslosigkeit: Das heißt, auch wenn Brunerie nicht da gewesen und UR nicht verboten worden wäre, wäre sowieso die rechtsradikale Organisation an ihren eigenen politischen Wahlen zugrunde gegangen.
Heute freuen sich Luyt und Robert, weil UR dank Brunerie bekannter wird: Sie machen sich wichtig und sagen, UR würde 2000 Mitglieder zählen (während sie in Wirklichkeit nicht einmal 200 umfasst) und wäre die vertretende Organisation für die Leute, die den FN gewählt haben und im Parlament doch nicht repräsentiert werden2 . Auf ihrer ehemaligen Website konnte man lesen, wie sie ironisch »Maxime [Brunerie] danken«: Das meinten sie nicht als Zeichen irgendwelcher Solidarität mit ihrem ehemaligen Genossen; die »rettende« Funktion seiner Aktion wollten sie damit unterstreichen. Wenn man ihrem seltsamen Gedankengang folgt, sollte es die »Sinnlosigkeit« des Attentats der UR oder ihrer Nachfolge-Organisation erlauben, ihre neuen Aktivisten auszusortieren und die Schwärmer und Lügner loszuwerden, so ihre neuen Führer. Da fragt man sich: Wo wollen sie dann ihre neuen Aktivisten finden?
Das Verbot: keine politische Waffe
In diesem Zusammenhang verliert das Verbot von UR sehr, denn die Organisation hatte schon vor dem Verbot Schwierigkeiten. Trotzdem ist klar, dass die Leute, die sich für das Verbot eingesetzt haben und sich den Kampf gegen den Rechtsextremismus nur im Gerichtshof vorstellen können, von dem Gegenteil überzeugt sind: Dass ihnen allein der Untergang von UR zu verdanken ist. Wenn man den Inhalt der gegen UR erhobenen Anklage betrachtet, hat man den Eindruck, dass die wirklichen Aktivitäten sowie die möglichen Entwicklungen der rechtsextremistischen Gruppierung ein wenig falsch eingeschätzt wurden: Zum Beispiel erwähnt die Union des Étudiants Juifs de France (UEJF) als Beweis des faschistischen Charakters von UR die auf ihrer Webseite benutzten Farben (rot, schwarz und weiß), die als »Nazi-Farben« bezeichnet werden.
Das Verbot von UR erlaubt es vor allen Dingen der Bewegung, eine Ausrede für ihre Misserfolge zu finden und sich als Opfer des Systems darzustellen, was vielen frustrierten Franzosen gefällt. Der FN hat schon gezeigt, dass die Verteufelung sowie die Überschätzung der eigenen Partei durch die politischen Gegner eine erfolgreiche politische Waffe sein kann. Frühere Verbote von politischen Organisationen3 haben gezeigt, dass die Justiz aus politischen Gründen instrumentalisiert werden kann. Auch die libertären Bewegungen konnten zu Opfern dieser Instrumentalisierung werden.
Auf jeden Fall muss die Justiz die Opfer der rechtsextremistischen Angriffe verteidigen und ihnen beistehen: Sie darf aber nicht als politische Waffe begriffen werden, zumindest nicht von denen, die nicht auf der Seite der Staatsgewalt stehen wollen. Das Verbot von Unité radicale bedeutet einen oberflächlichen Erfolg für die AntifaschistInnen und bleibt ohne maßgebliche Folgen für eine Bewegung, die vorher nur ihren AnhängerInnen und ihren überzeugtesten GegnerInnen bekannt war. Für uns AntifaschistInnen geht der Kampf weiter, nicht im Gerichtshof, sondern auf der Straße.
Der Artikel wurde uns von der antifaschistischen Zeitschrift REFLEXes (Frankreich) zur Verfügung gestellt. (http://reflexes.samizdat.net)
- 1Es handelt sich um Sébastien Deyzieu, Mitglied der Organisation Œuvre française, der am 9. November 1994 von einem Dach sprang, als er von Polizisten verfolgt wurde. Dieser Unfall fand nach einer rechtsextremistischen Anti-US-Demo statt.
- 2Bei den Präsidentschaftswahlen haben ungefähr 5,5 Mio. Personen Le Pen gewählt; bei den Parlamentswahlen erhielt der FN 11,23% der Stimmen und keinen Abgeordneten, während die kommunistische Partei zum Beispiel mit 4,82% 21 Abgeordnete bekam: so ist das französische Mehrheitswahlsystem.
- 3Im Jahre 1973 wurden die rechtsradikale Ordre nouveau sowie die kommunistische Liga verboten; im Jahre 1980 wurde die rechtsradikale FANE verboten, weil sie eines Attentates angeklagt wurde, das sie nicht verübt hatte, wie sich später erwies.