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Grenzcamp in Frankfurt am Main. Wo ist die Grenze?

Einleitung

An dem 4. antirassistischen Camp der Kampagne »Kein Mensch ist illegal« nahmen in diesem Jahr rund 1.000 Menschen teil. Schwerpunkt des Camps, das in der Nähe des Rhein-Main-Flughafens in Frankfurt stattfand, war die staatliche Abschiebepolitik. Im Gegensatz zu den vorherigen Camps, die alle in ostdeutschen Kleinstädten stattfanden, gab es in diesem Jahr kaum eine Auseinandersetzung mit dem Rassismus aus der Mitte der Gesellschaft. 

Bild: attenzione-photo.com

Auch der positive Effekt der vorherigen Grenzcamps, die schwachen regionalen Strukturen von AntirassistInnen und AntifaschistInnen in quasi no-go-areas zu unterstützen, fiel angesichts anderer Bedingungen im Rhein-Main-Gebiet aus. Die meisten Aktionen des Camps gegen die staatliche Abschiebepolitik und das mediale Echo bezeichnen waren erfolgreich. Weil die Abschiebungen auch nach dem Camp weitergehen, werden hier einige Gründe, sich mit der Situation an der »EU-Außengrenze Flughafen« zu beschäftigen dokumentiert.

Where is the Border ?

Das Grenzcamp, das von der Initiative »Kein Mensch ist illegal« und vielen anderen Antirassismus- Gruppen veranstaltet wird, fand vom 27. Juli bis zum 5. August 2001 in der Nähe von Frankfurt statt. Wie auch die Jahre zuvor war der Schwerpunkt die Auseinandersetzung mit staatlichem undgesellschaftlichem Rassismus. Mit einer Reihe von Aktionen haben die Aktivistinnen diese Themen in die Öffentlichkeit getragen. Wie schon in den letzten drei Jahren ist dabei Eigeninitiative und Kreativität aller Teilnehmenden gefragt.

Tödliche Grenze Rhein-Main-Airport

Die Abschiebemaschinerie im Rhein-Main-Airport ist eines der unmenschlichsten Highlights deutscher Bürokratie. Seit dem l. Juli 1993 müssen gemäß Paragraph 18a Asylverfahrensgesetz alle Asylsuchenden, die über Flughäfen nach Deutschland einreisen wollen, das sogenannte Flughafenverfahren durchlaufen. Asylsuchende aus so genannten »sicheren Drittstaaten« werden bereits nach Kontrollen auf dem Rollfeld durch den Bundesgrenzschutz (BGS) wieder zurückgeschickt. Die Grenzschützer gehen in die gelandeten Flugzeuge und wenn sie dort Flüchtlinge antreffen, die über ein »sicheres Drittland« eingeflogen sind, ist die jeweilige Fluggesellschaft verpflichtet, sie umgehend wieder mit zurückzunehmen.

Abschiebungen also, bei denen die Flüchtlinge keinerlei Chance haben, ihre Fluchtgründe vorzutragen und Kontakt mit Anwältinnen oder Verwandten aufzunehmen. Die Flüchtlinge, die nicht unter die Drittstaatenregelung fallen, werden zunächst erkennungsdienstlich erfasst. Danach erfolgt die erste Befragung durch den BGS - hauptsächlich nach Fluchtgründen, Reisewegen und Dokumenten. Anschließend werden die Asylsuchenden in die Unterkünfte des Flughafensozialdienstes gebracht, die immer noch als Transiträume ausgegeben werden. Zeitnah findet dann eine persönliche Anhörung durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge statt.

Innerhalb von zwei Tagen muss dieses darüber entscheiden, ob die Asylsuchenden tatsächlich nach Deutschland einreisen und ihr Asylverfahren dann weiter betreiben können. Bei einer Einreiseverweigerungdurch das Bundesamt bleibt den Flüchtlingen sieben Tage Zeit, um einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz beim Verwaltungsgericht zu stellen. Das Gericht muss nun innerhalb von nur 14 Tagen die Einschätzung bzw. Ablehnung des Bundesamtes überprüfen. Danach dürfen die Flüchtlinge entweder einreisen und werden ins Asylverfahren aufgenommen oder sie werdenabgeschoben.

Im April diesen Jahres haben sich das Bundesinnenministerium und das Land Hessen darüber hinaus über eine neue Abschiebehaftanstalt für Asylbewerber am Frankfurter Flughafen geeinigt. Der bislang übliche »freiwillige« Aufenthalt der Flüchtlinge im Transitbereich des Flughafens nach dem Ende ihres Asylverfahrens soll bald nicht mehr möglich sein. Stattdessen müssten die abgelehnten Asylsuchenden nach spätestens 23 Tagen aus dem Transitbereich in die »Zurückweisungshaft« überstellt werden und dort – bis zum Eintreffen neuer »Reisepapiere« - auf ihre Abschiebung warten. Hessen will dafür einen neuen Abschiebeknast mit rund 100 Haftplätzen bauen.

Jährlich werden 10.000 Flüchtlinge vom Frankfurter Flughafen aus wieder abgeschoben. Das sind pro Tag 30 – 40 Menschen, die mit Unterstützung des BGS, teils unter Gewaltanwendung, geknebelt und gefesselt in Flugzeuge gesetzt und oft in Länder gebracht werden, in denen sie in vielen Fällen von Folter oder Hinrichtung bedroht sind. Das oft rücksichtslose und brachiale Verhalten der Beamten bei der Abschiebung hat 1994 dem Nigerianer Kola Bankole und 1999 Aamir Ageeb aus dem Sudan das Leben gekostet. Beide starben in Lufthansa Flugzeugen an den Folgen der Misshandlungen durch Polizisten. Die deutsche Kranich-Airline unterstützt die deutsche Bürokratie bei der Hälfte aller Abschiebungen, indem sie kommentarlos und ohne Berücksichtigung der Bedingungen die abgelehnten Flüchtlinge transportiert.

Lufthansa trägt somit einen Teil der Verantwortung am Tod der beiden Flüchtlinge und auch daran, dass viele Asylsuchende in die Folter und Verfolgung abgeschoben werden. Inzwischen reagiert die Fluggesellschaft immer empfindlicher auf die negativen Schlagzeilen, mit der die Kampagne »Stop Deportation Class«durch Auftritte bei Aktionärsversammlungen, Plakatserien und breite Öffentlichkeitsarbeit das saubere Image der Lufthansa ankratzt. Durch weiteren öffentlichen Druck sollen dem Kranich beim Geschäft mit dem Leben und Tod der Asylsuchenden die Flügel gestutzt werden.

Dienstleistungsmetropole Mainhattan

Die Entscheidung des Grenzcamps für Frankfurt ist auch eine für antirassistische Präsenz in einem Zentrum der Globalisierung. In der Stadt liegt nicht nur eine der wichtigsten Verkehrsdrehscheiben der Welt; sie ist auch ein Symbol für den globalen Einfluss von Großbanken. Dadurch wird eine neue Spielart von Rassismus importiert, der Menschen nicht mehr unbedingt nach Hautfarbe, sondern nach ihrer wirtschaftlichen Verwertbarkeit unterscheidet, Eine Stadt, die mit den internationalen Vorbildern gleich ziehen möchte, muss ein vielseitiges Dienstleistungsangebot für die Manager und Büroangestellten bereithalten.

Eine solche »Herausforderung« ist nur mit billigen Arbeitskräften zu erfüllen. Also gibt es Prostituierte aus »exotischen« Ländern, Putzkolonnen von MigrantInnen und »sans papiers«, die für einen Stundenlohn von ein paar D-Mark arbeiten. Die Flüchtlinge arbeiten unter schlechter sozialer Absicherung, miserablen Sicherheitsbedingungen und für 5 bis 13 D-Mark pro Stunde auf Grossbaustellen, um die Prunkbauten so billig wie möglich zu bauen. Frauen sind oft gezwungen, neben ihrer Arbeitskraft auch noch ihren Körper zu verkaufen. Trotz der Bereitstellung ihrer Arbeitskraft haben die Betroffenen in den wenigsten Fällen einen gesicherten Aufenthaltsstatus in Deutschland und werden gefeuert, sobald sie Ansprüche stellen.

Die Profitinteressen der Wirtschaft erklären die Forderung rührender Manager nach »offeneren Grenzen« und eine scheinbare Förderung einer »multikulturellen Gesellschaft«. Nur so können die Gewinne maximiert und der gewohnte Lebensstandard gehalten werden. Die Argumente, man sei doch kein Rassist, da man die anderen Kulturen doch selbst schätze, sind da lediglichAugenwischerei. MigrantInnen sind nur solange in Deutschland akzeptiert, wie sich ihr rechtlicher Status eine Stufe unter dem der deutschen Bevölkerung befindet.

Ein deutliches Beispiel ist die Einführung einer an die Arbeitsstelle gebundenen und zeitlich begrenzten »Blue-Card« in Hessen und Bayern. Sobald der Arbeitgeber keinen Bedarf mehr für die Arbeitskraft der MigrantInnen oder noch billigere Arbeitskräfte gefunden hat, wird die Aufenthaltsgenehmigung wieder entzogen und die Betroffenen müssen in ihr Heimatland zurückkehren. Die Situation von ausländischen Studierenden, die immer mit der Angst vor einer Abschiebung leben müssen, sobald sie diegeforderte Leistung nicht erbringen, passt ebenfalls in dieses Schema.

Neue Themenbereiche - Neue Herausforderungen

Die zwei oben angesprochenen Punkte sind zwei Folgen der Globalisierung. In der Zukunft wird der biologisch verankerte Rassismus nicht mehr das Hauptproblem sein, es wird immer mehr umdie Nützlichkeit und Verwertbarkeit von ArbeitsmigrantInnen für die Wirtschaft gehen. Die Unternehmen fordern eine »Green Card« nicht aus Nächstenliebe oder aus Engagement für »offene Grenzen«, sondern zur Steigerung ihrer Profite. Angesichts dieser neueren Entwicklungen wollten sich die TeilnehmerInnen des Grenzcamps mit dem gesellschaftlichen Rassismus und den verschiedenen Facetten und Formen des alltäglichen Rassismus in Deutschland auseinander setzen.

Das diesjährige Grenzcamp in Frankfurt/Main stand vor der spannenden Aufgabe, komplexe und weniger offensichtliche Inhalte als eine für alle greifbare Grenze an die Medien und potentielle UnterstützerInnen zu vermitteln. Mit den Aktionen, bei denen es an Fantasie und Kreativität nicht mangelte, ist es den antirassistischen AktivistInnen dieses Jahr gelungen, für Unruhe rings um die Flughafenregion zu sorgen. Auf die Frage »Wo ist die Grenze?« kann nur geantwortet werden, dass es völlig egal ist, wo die Regierung diese setzt. Denn mit dem Grenzcamp wurde auch dieses Jahr wieder deutlich gemacht, dass sie in Bezug auf die deutsche Flüchtlings- und Migrationspolitik schon lange überschritten ist.