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Im (rechten) Trend: „Alternative Geschichtsschreibung“

Chris Höltschi
Einleitung

Die Strategien, Thesen und Inhalte von revisionistischen Geschichtswissenschaftler_innen und der (Neuen) Rechten in Bezug auf altertumswissenschaftliche Fragestellungen sind bisher selten von antifaschistischer Seite thematisiert worden. Einige Aufmerksamkeit hat aber die völkische und geschichtlich oftmals komplett falsche Rezeption von neuheidnischen und neonazistischen Reenactgruppen hervorgerufen1 . Im Unterschied zur Neueren Geschichte, in der klassische rechte Themen wie die deutsche Kriegsschuldleugnung, der Klimawandel, die „Lügenpresseforschung“ oder die Globalisierung zur Legitimierung des völkischen Weltbildes behandelt werden, scheint die Antikenforschung auf den ersten Blick weniger dafür geeignet zu sein. Einige Bestrebungen diesbezüglich sind aber leider zu konstatieren.

  • 1AIB Nr. 112, „Living History“
Foto: Recherche Nord

Andreas Vonderach während einer Veranstaltung des AfD-nahen „Oldenburger Kreis“ mit Karlheinz Weißmann am 26.08.2017.

Der Offensichtliche

Ein Beispiel dafür ist das von Andreas Vonderach1 2017 im rechten "Antaios-­Verlag"2 erschienene Buch „Gab es Germanen? — eine Spurensuche“. Der Autor betreibt unter dem Label „Anthropologie“ kaum versteckte „Rassen“forschung und will den naturverbundenen, blonden Germanen als Vorläufer des deutsches Volkes rehabilitieren. Der angeblich von kriegerischem Verhalten geprägte Umgang der Germanen gegen die Römer soll als Vorbild für die heutigen Deutschen im Kampf gegen die „radikal egalitäre Ideologie des Zeitgeists“ dienen. Diese offen völkische Arbeit kommt durchaus im Gewand einer formal wissenschaftlichen Abhandlung daher, dürfte aber eher ein kleines Publikum bedienen, das ohnehin bereits über ein geschlossen rechtes Weltbild verfügt.

In der (pseudo)archäologischen Literatur gibt es viele Anknüpfungs- und Überschneidungsgebiete mit rechten Inhalten, indem rechte Topoi aufgegriffen werden. Die Germanen galten in der völkischen Ur- und Frühgeschichtsforschung bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs für viele als direkte Vorgänger des deutschen Volkes. Als dieses Geschichtsbild ab 1935 von der SS-Abteilung „Forschungsgemein­schaft Deutsches Ahnenerbe“ mit staatlicher Förderung3 propagiert wurde, beteiligten sich Archäologen fleißig an der Rekonstruktion des „blauäugigen, blonden, langschädeligen“ Germanen.

Die Wirksamen

Im Gegensatz zu Vonderach verzichten andere Akteure wie Erich von Däniken, Gunnar Heinsohn und Heribert Illig auf explizit politische Aussagen. Sie erreichen jedoch eine beachtliche Reichweite und verbreiten Verschwörungstheorien - zum Teil im großen Stil. Sie betreiben eine Art „alternative Geschichtswissenschaft“.

Der Schweizer Erich von Däniken4 , geboren 1935, gilt als prominentester Vertreter der Präastronautik. Deren Kernthese ist die Annahme, dass alle Götter in der Antike eigentlich Außerirdische waren. Nur durch die Anwesenheit dieser „Götterastronauten“ konnten Hochkulturen entstehen. Die Bücher von Dänikens werden seit 2006 beim rechten KOPP Verlag5 vertrieben. Die Auflage seines Gesamtwerkes hat mittlerweile 72 Millionen Exemplare6 erreicht, die in über 30 Sprachen übersetzt wurden.

Diese Publikationen von Dänikens sind sehr gut konsumierbar: eine Mischung aus Abenteuerroman, Reisebeschreibung und Alt­herrenwitzen. Nach seiner Theorie hat sich die Menschheit nicht durch Evolution, sondern einzig und allein durch das Eingreifen außerirdischer Wesen entwickelt. Dies sei so offensichtlich, dass eine groß angelegte Vertuschungsaktion von etablierter Wissenschaft, CIA und anderen vorliegen müsse. Weil sich das offenbar gut vermarkten lässt, wird von Däniken in viele Talkshows eingeladen. Er produziert TV-Dokumentationen und Bücher, veranstaltet Vortragstourneen und präastronautische Mittelmeerkreuzfahrten, um die Menschheit aus dem Unwissen zu führen und von der Existenz von Aliens zu überzeugen.

Ein anderes Beispiel pseudogeschichtswissenschaftlicher Literatur ist die sogenannte Chronologiekritik. Am bekanntesten sind Dr. Heribert Illig (Germanist) und Prof. Dr. Gunnar Heinsohn, ein emeritierter Professor für Sozialpädagogik. Beide postulieren die Erfindung bzw. das Nicht-Vorhandensein bestimmter Zeiträume in der Vergangenheit. Durch die massenmediale Verbreitung in auflagenstarken Büchern, via TV und YouTube haben ihre Thesen große Resonanz erhalten. Gegendarstellungen und kritische Stimmen, die mit den archäologischen Zeugnissen aus den entsprechenden Zeitspannen die Argumentation problemlos entkräften, werden in den aufwendig produzierten TV-Dokus selbstverständlich nicht erwähnt.

Illig vertritt die These, dass 300 Jahre im Mittelalter erfunden wurden; Heinsohn spezialisiert sich hingegen auf den Alten Orient und meint, die Sumerer seien ein Produkt der Fantasie moderner Forschung. Die Argumentationsmuster laufen ungefähr nach folgendem Schema ab: viele historische Epochen sind entweder schon in der Vergangenheit oder von modernen Wissenschaftler_innen schlichtweg erfunden worden. Seien es die Sumerer in Mesopotamien, oder Karl der Große: Alles Lüge!

Bei all den inhaltlichen Unterschieden und Wider­sprüchlichkeiten lassen sich jedoch auch Gemeinsamkeiten feststellen. Die Akteure inszenieren sich als ehrliche Menschen auf dem Kreuzzug gegen den Mainstream. Da der Zeitgeist den gesunden Menschenverstand unterdrücken würde, liegt es an ihnen, unterdrücktes Wissen offenzulegen. Als Drahtzieher der Desinformation werden dunkle Mächte, Geheimdienste und Wissenschaftler_innen, die um ihre Pfründe bangen, ausgemacht.

Über diese krude, allen Verschwörungs­theorien innewohnende Argumentation sowie die inhaltliche wie formale Abgrenzung zu wissenschaftlichen Institutionen wird eine „Gegenwissenschaft“ konstruiert. Die Diskurse der Impfgegner_innen und Homöopathiefans weisen starke Analogien auf. Überschneidungen und Parallelen zur „fake news“-Debatte und zur Selbstinszenierung der "Alternative für Deutschland" (AfD) sind offensichtlich. Es wird eine pseudowissenschaftliche Parallelwelt geschaffen, die analog zu „alternativen“ Nachrichtenangeboten, über die Geschichtsschreibung funktioniert.

Die „alternative“ Geschichtswissenschaft hat ein ambivalentes Verhältnis zur etablierten Wissenschaft. Je nach eigenem Standpunkt werden publizierte Forschungsergebnisse ignoriert oder zur Untermauerung des eigenen Arguments benutzt. Wissenschaft wird oft aber als Mittel der ideologiegeleiteten 68er-Generation zur Manipulation des Volkes zum Wohle internationaler Konzerne aufgefasst. Selbstverständlich stellen die genannten Akteure sich selbst als ideologiefrei dar. Ideologie wird als Werkzeug des behaupteten linken Mainstreams präsentiert, während man selbst lediglich nach dem „gesunden Menschenverstand“ forscht und handelt.

Fazit

Rechte Parallel- und Wahrnehmungswelten mit wenigen Überschneidungspunkten zu anderen Diskursen waren zwar stets existent, scheinen es aber mittlerweile aus ihren Nischen heraus in den Mainstream zu schaffen. Im Gegensatz zu den frühen siebziger Jahren regt sich aus der wissenschaftlichen community kaum noch öffentlicher Widerspruch. So war Däniken zuletzt im Herbst als Referent in den Räumen der Universität der Künste angekündigt. Neben dieser Massenverbreitung ist nicht zuletzt auch durch die AfD zukünftig mit einer verstärkten Aktivität und Rezeption völkischer Wissenschaft zu rechnen.7

  • 1Geboren 1964, lebt in Oldenburg und ist Historiker. Er publiziert in der Jungen Freiheit, Sezession, im Ares-Verlag und im Verlag antaios.
  • 2Vgl. AIB Nr. 117: "Rechte Inszenierung auf der Frankfurter Buchmesse" und AIB Nr. 114: "Antifeministische Verschwörungsideologien"
  • 3Ideologisch gegenläufig agierte das „Amt Rosenberg“, das eher einen Fokus auf das antike Griechenland und Rom legte. Allgemein lässt sich sagen, dass es im NS kein konsistentes Geschichtsbild gab. Grob skizziert bezog sich Hitler auf die römische Geschichte, Albert Speer auf Griechenland und Heinrich Himmler auf die Germanen (siehe z.B „Der Nationalsozialismus und die Antike“ von Johann Chapoutot 2014).
  • 4"Döneken mit Däniken" von Christopher Hölzel in "Jungle World", 16.11.2017.
  • 5AIB Nr. 95: "Quatsch mit brauner Soße"
  • 6Eigenangabe Jan. 2018
  • 7Karl Banghard/Jan Raabe: "Germanen als geschichtspolitisches Konstrukt der extremen Rechten" (2016) In: Hans-Werner Killguss, Martin Langebach "Opa war in Ordnung. Erinnerungspolitik der extremen Rechten" (Köln 2016)