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Inszenierter Tabubruch. Die FDP und der Antisemitismus

Einleitung

Der von den Grünen zur FDP übergetretene nordrhein-westfälische Landtagsabgeordnete Jamal Karsli hat in den letzten Wochen mit einer anti-israelischen Pressemitteilung und mit einem Interview in der rechten Wochenzeitungen »Junge Freiheit« eine ganze Welle antisemitischer Äußerungen quer durch die Gesellschaft ausgelöst. Selten zuvor waren so öffentlich die Verbrechen Nazideutschlands mit der Politik des israelischen Staates gleichgesetzt worden und selten fanden antisemitische Verschwörungstheorien eine solche weite Verbreitung.

Foto: Christian Ditsch

Der Berliner Kandidat von "Die Republikaner" (1995) Frank-Eckart Czolbe-Senft demonstriert im Mai 2002 vor der FDP Zentrale der Partei seine Zustimmung.

Der FDP-Vize Jürgen W. Möllemann inszenierte sich im Laufe der Diskussion als vermeintlicher Tabubrecher in Sachen Israel und lieferte sich einen wochenlangen Schlagabtausch mit dem Vizepräsidenten des Zentralrat der Juden in Deutschland, Michel Friedman. Auch hier war antisemitischer Beifall die unvermeindliche Folge.

»Die ganz normalen Bürger«...

...seien seine Mitstreiter, erzählte Möllemann. Am Nordseestrand hätten sie ihm über Pfingsten zugejubelt und ihn in seiner Meinung bestärkt. In über 11.000  Zuschriften sei er aufgefordert worden, weiter für seine Überzeugungen im Nahost-Konflikt einzutreten. Was diese ganz normalen Bürger so denken, konnte man auf der Internetseite von Jürgen Möllemann nachlesen. Hunderte Einträge füllten sein Forum. Beim Lesen dieser Einträge bekommt man eine Ahnung davon, was Hannah Arendt einst als »Bündnis aus Elite und Mob« bezeichnete. Allein die Einträge die am 22. Mai 2002 zwischen 00.12 Uhr und 05.49 Uhr gemacht wurden sprechen für sich. Ein(e) K. Altmann verkündet: »Es wäre wohl besser, wenn Herr Friedman sich wieder als Pelzhändler in Frankreich betätigen würde. Dann wären wir ihn endlich los« und »Das wir es mit einem Zigeunerjuden zu tun haben, ist eine Tatsache und deshalb auch keine Beleidigung«.

Ein(e) S. Dietrich bestätigt: »Wir lassen uns doch nicht von jedem dahergelaufenen Juden auf der Nase herumtanzen«. Ein(e) M. Ortner gibt zu bedenken: »Man sollte mal Herrn Friedman die Frage stellen, ob es nicht schändlich ist in der Zweiten Generation, das Leid was den Juden angetan wurde, dazu zu nutzen im Grundstücksspekulationsgeschäft im Raume Frankfurt die Millionen zu scheffeln.« Der rechtsextreme Deutschherrenklub aus Berlin empfiehlt Möllemann eine schnelle Bewerbung und die Nationale Opposition Deutschland hofft, dass Möllemann obsiegt und nicht einbricht. »Eine Liberale« sieht eine »gewaltige Organisation«, die einem Geschichtsbild dient, in dem »sind die Juden – und ist Israel das ewige Opfer – wir Deutschen müssen dann als Gegenpol als ewige Täter dienen«.

Ein »Humanist« äußert: »Wenn es Friedman stört im Lande der Mörder zu leben, kann er ja in das Land wechseln, welches am meisten Morde begeht – Israel!« Karlheinz Isensee meint »Diese ’Deutschen jüdischen Glaubens’ – mit mindestens drei Reisepässen – sollen endlich ’n Flug nach Tel Aviv oder Washington antreten – nur hin, nicht zurück...« Diese Einträge belegen, dass sich von den Wahnvorstellungen über eine jüdische Weltverschwörung bis hin zum antisemitischen Bild des millionenscheffelnden jüdischen Spekulanten fast sämtliche antisemitischen Stereotype in der deutschen Gesellschaft überlebt haben. Antisemitismus ist auch dort noch immer latent präsent, wo man sich nicht mehr zu ihm bekennt oder den Vorwurf des Antisemiten empört von sich weisen würde.

»Ein Hort des Antisemitismus«

...nannte Joschka Fischer die FDP. Doch Jamal Karsli war nicht nur ein Sprecher der »Initiative gegen das Irakembargo Deutschland«1 sondern auch Mitglied der Grünen. Als Redner auf pro-palästinensischen Demonstrationen machte er schon als Grünen-Mitglied keinen Hehl aus seinen politischen Ansichten. Am 16. Februar 2002 fragte er in Bonn auf einer Demonstration zum Thema »Schutz für die Palästinenser«: »Warum schreit niemand bei uns auf, wenn unsere Politiker und an der Spitze George Bush vor der israelischen Lobby ständig auf die Knie fallen?«2 Hier zeichnete er das Wahnbild einer übermächtigen israelischen Lobby, die die deutschen und amerikanischen Politiker beherrschen würde. Auf einer Kundgebung »Solidarität mit Palästina« am 13. April 2002 in Berlin drohte er gar den »Boykott israelischer Waren« als politisches Druckmittel an.3

Die historische Parallele zu »Kauft nicht bei Juden«-Kampagnen aus der Anfangszeit des Nationalsozialismus schien niemandem aufzufallen oder aufzustossen. Mitte März veröffentlichte er eine Pressemitteilung unter der Überschrift »Israelische Armee wendet Nazi-Methoden an!« Hier schrieb er: »Gerade von Deutschen sollte auf Grund der eigenen Geschichte eine besondere Sensibilität erwartet werden, wenn ein unschuldiges Volk den Nazi-Methoden einer rücksichtslosen Militärmacht schutzlos ausgeliefert ist.« Ausgerechnet die Verbrechen der deutschen Wehrmacht, der SS und der deutsche Bevölkerung sollen dazu herhalten, um die deutsche Bevölkerung gegen die Kinder und Enkel der jüdischen Überlebenden und ihren Staat aufzubringen. Angelockt von dieser absurden Gleichsetzung der israelischen Armee mit den deutschen Nazis bat auch die rechte »Junge Freiheit« zum Interview.

Anfang Mai gab Karsli hier antisemitische Verschwörungstheorien zum Besten: »Man muss zugestehen, dass der Einfluss der zionistischen Lobby sehr groß ist: Sie hat den größten Teil der Medienmacht in der Welt inne und kann noch so bedeutende Persönlichkeiten ‘klein’ kriegen. Denken Sie nur an Präsident Clinton und die Monika-Lewinsky-Affäre. Vor dieser Macht haben die Menschen in Deutschland verständlicherweise Angst.« Hier wird ein weiteres Wesensmerkmal des Antisemitismus deutlich. In seinem Selbstverständnis sah dieser sich immer als eine legitime Notwehrbewegung gegen die herbeiphantasierten Herrschaftsgelüste und »frechen Anmaßungen« der Juden. In dem Interview attestierte Karsli den Deutschen außerdem eine moralische Lähmung angesichts des Holocaust. Auch die Singularität der Shoa wurde von ihm in Frage gestellt: »Den Leuten ist klar, dass das, was sich die israelische Armee da erlaubt, einmalig in der Welt ist«.4

Möllemann

In seiner Austrittserklärung aus der Partei Bündnis 90/DIE GRÜNEN verkündete Karsli: »Die Haltung von Herrn Jürgen Möllemann im Nahostkonflikt stimmt mit meiner Einstellung völlig überein. Deshalb habe ich mich entschieden, der FDP beizutreten.«5 Jürgen Möllemann ist Präsident der Deutsch-Arabischen Gesellschaft (DAG) und hatte mit diversen anti-israelischen Ausfällen auf sich aufmerksam gemacht. In einem Interview mit der taz erklärte er: »Was würde man denn selbst tun, wenn Deutschland besetzt würde ? Ich würde mich auch wehren, und zwar mit Gewalt. Ich bin Fallschirmoffizier der Reserve. Es wäre dann meine Aufgabe, mich zu wehren. Und ich würde das nicht nur im eigenen Land tun, sondern auch im Land des Aggressors.«

Wahrscheinlich wollte Möllemann mit seinen »Rambo«-Phantasien Verständnis für palästinensische Selbstmordattentate wecken, doch er bediente damit auch das bereits genannte antisemitischen Wesenselement der ständigen, legitimen Notwehr. Deutschlands Zukunft sieht Möllemann durch den Nahost-Konflikt bereits einer dramatischen Gefahr ausgesetzt: »Vor unserer Haustür droht ein Krieg mit Massenvernichtungswaffen und vor unserer Haustür kommen möglicherweise Millionen Flüchtlinge in Bewegung und die kommen dann durch unsere Haustür. Amerika ist weit!«6 Hier wird von Möllemann ein Bedrohungsszenario an die Wand gemalt, das eigentlich nur noch eine militärische Intervention in Israel oder zumindestens eine noch rigidere Flüchtlingspolitik zur Folge haben dürfte.

Die Opfer als Täter und die Täter als Opfer

Die Auseinandersetzung über die antisemitischen Äußerungen Karslis entwickelte sich in der Öffentlichkeit vor allem zu einem Konflikt zwischen dem FDP-Parteivize Jürgen Möllemann und dem Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Michel Friedman. Im Laufe der Karsli-Debatte warf Möllemann Friedman vor: »Ich fürchte, dass kaum jemand den Antisemiten, die es in Deutschland leider gibt (...) mehr Zulauf verschafft als Herr Scharon und in Deutschland als Herr Friedman mit seiner untoleranten, gehässigen Art«. Später bekräftigte er: »Dieses Zitat meine ich so. Die Zeiten, in den man uns das Denken verbieten wollte, sind vorbei (...) Aber wenn man wie Michel Friedman als angeblicher Sachverwalter des Zentralrats der Juden Kritiker der Politik Israels niedermacht, wer wie er mit Gehässigkeit um sich wirft, mit unverschämten Unterstellungen arbeitet – Antisemitismus und so weiter –, der schürt Unmut gegen die Zielgruppe, die er zu vertreten vorgibt.«7  

Wolfgang Benz vom Berliner Zentrum für Antisemitismusforschung bemerkte hierzu vollkommen richtig: »Die Zungenschläge von Herrn Möllemann stehen zweifellos in der Tradition der antisemitischen Propaganda, die Juden seien an ihrer Situation selbst schuld.« Möllemann hat einen Vertreter der deutschen Juden so direkt angegriffen wie kein anderer Politiker seit dem Zweiten Weltkrieg – Rechtsradikale ausgenommen. »Das perfide ist, dass Friedman nicht als Person gemeint wird, sondern als Teil des Kollektivs.« Dabei zielte Möllemann unter dem Vorwand der Israel-Kritik auf einen latent vorhandenen Antisemitismus in der Bevölkerung. Als die Ausfälle Möllemanns gegen Friedman keine Konsequenzen bei der FDP auslösten, fragte Friedman: »Wo ist die FDP-Führung eigentlich hingekommen, dass sie einem stellvertretenden Vorsitzenden, der solches Gedankengut verbreitet, nicht öffentlich widerspricht oder sich gar von ihm trennt.«

Rasch waren einige FDP-Kollegen zur Stelle. Der schleswig-holsteinische FDP-Chef Wolfgang Kubicki verkündete, Friedman sei »auch nicht von schlechten Eltern, und möglicherweise hat Möllemann nur einen groben Klotz auf einen groben Keil gesetzt«. Die stellvertretende Thüringer FDP-Landeschefin, Ulrike Flach, befand gar: »Wir brauchen Möllemann im Wahlkampf und wir brauchen seine engagierten Äußerungen zum Nahost-Konflikt« Der stellvertretende Chef der FDP-Saar, Karl-Josef Jochem, meinte, mit seiner Kritik spreche Möllemann »vielen aus der Seele«. Sachsens FDP-Chef Holger Zastrow verteidigte Möllemann: »Eine Meinungsäußerung darf kein Tabu sein.« Andere führende FDP-Politiker übten jedoch auch Druck auf Möllemann aus, Karsli aus der Partei zu drängen. Am Ende versuchte sich die FDP mit einem faulen Kompromiss aus der Affäre zu ziehen: Karsli darf zwar weiter in der Düsseldorfer Landtagsfraktion mitarbeiten, verzichtet jedoch auf seine FDP-Mitgliedschaft.

Möllemann betonte, eine »öffentliche Hetzjagd« habe Karsli zu diesem Schritt veranlasst. Westerwelle sagte, man dürfe Andersdenkenden nicht mit der »Nazi-Keule« beikommen. Karsli selbst beklagte: »Die Reich – und Tragweite des Tabus Juden und Israel in Deutschland habe ich erst jetzt im wahren Umfang kennenlernen müssen.« Die »politisch korrekte Klasse« verlange, dass man »einseitig auf der Seite Israels« stünde. »Was das Volk denkt, kümmert sie nicht«. Die Behauptung, dass man in Deutschland die Politik Sharons nicht kritisieren könne, ist absurd, wie jeder wissen dürfte, der regelmäßig eine Zeitung liest. Die Unterstellung, Michel Friedman oder sonst wer würden Kritik an der israelischen Regierung verbieten wollen, ist ebenso bodenlos. Es werden hier erst Tabus herbeigeredet, um sie anschließend mit viel Getöse durchbrechen zu können.

Die Taktik dahinter ist leicht als klassischer Populismus zu duchschauen. Man stellt sich als jemand dar, der eine Vorreiterrolle einnimmt, obwohl man der Volksmeinung nur hinterherrennt. So kann man sich an die Spitze einer »neuen Bewegung« stellen, die so neu gar nicht ist. Das Ganze wird dann als eine »Emanzipation der Demokraten« dargestellt. Dass ein rechtspopulistischer Durchbruch in der FDP vorerst ausgebremst wurde, scheint erfreulich. Dass dies jedoch nur aufgrund von parteitaktischer Nützlichkeitserwägung und innerparteilicher Machtverteilung erfolgte, ist bedenklich. Die Behauptung, eine liberale Partei der Mitte könne prinzipiell nicht antisemitisch sein, kann man getrost unter geschichtslosen Blödsinn verbuchen, wenn man sich die Geschichte des (national)liberalen Parteienspektrums in Deutschland anschaut.

Fazit

Dass Antisemitismus in der Öffentlichkeit thematisiert wird, ist natürlich zu begrüßen. Allerdings ist die Debatte von einer tatsächlichen Auseinandersetzung über die Ursachen und Wirkungen antisemitischer Ideologie noch weit entfernt. Der rechtspopulistische oder rechtsextreme Reiz, angebliche Tabus brechen zu wollen, wird wachsen. Und manches antisemitische Ressentiment, das man in der ideologischen Mottenkiste glaubte, wird quer durch die Medien und die Talkshows gereicht, um dort öffentlich »verhandelt« zu werden. Salon-Antisemitismus ist nicht weniger gefährlich als der militante Antisemitismus der Neonazis.