Skip to main content

Kampagne gegen Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht"

Einleitung

Über 820.000 Menschen haben die Ausstellung »Verbrechen der Wehrmacht. 1941 bis 1944« des Hamburger Instituts für Sozialforschung seit ihrer Eröffnung im März 1995 in Hamburg besucht. In 32 Städten in Deutschland und Österreich wurden die Fotos und Dokumente, die den Mythos der »sauberen Wehrmacht« endgültig zerstörten, bisher gezeigt. Im Juni sind die Exponate an ihren Ausgangsort Hamburg zurückgekehrt und sollen danach durch einen Trägerverein weiter ausgeliehen werden. Einerseits hat die Ausstellung eine breite gesellschaftliche und mediale Diskussion über die Rolle der Wehrmacht ausgelöst. Andererseits hat die Gegenkampagne von Neonazis, Teilen der CDU und CSU sowie führender deutscher »Nachrichtenmagazine« zu einem neuen Schulterschluß der extremen Rechten mit wesentlichen Trägern der »gesellschaftlichen Mitte« geführt. Das AIB hat die Kampagne gegen die Ausstellung mit der Serie »Allianz der Geschichtsleugner« begleitet. Die Rückkehr der Ausstellung nach Hamburg ist für uns Anlaß, ein vorläufiges Resümee zu ziehen.

Foto: Christian Ditsch

Die Allianz marschiert weiter

Den Auftakt für den Einstieg des militanten Neonazisspektrums in die bis dato nur von einem kleinen Häuflein rechter »Publizisten« geführte Hetzkampagne gegen die Ausstellung machte der verurteilte Naziterrorist Manfred Roeder. Im Juni 1996 besprühte er in Erfurt mehrere Exponate mit dem Schriftzug »LÜGE« und erzielte damit bundesweite Medienaufmerksamkeit.

An den nachfolgenden Ausstellungsorten (Regensburg, Klagenfurt, Nürnberg, Linz und Karlsruhe) kam es zu den ersten kleinen Kundgebungen von ortsansässigen NPD/JN-Strukturen. Zusätzlich gab es in Regensburg und Linz Bombendrohungen. Diese Aktivitäten fanden jedoch nur auf regionaler Ebene Presseresonanz. Dies änderte sich am 1. März 1997, als es im Vorfeld der Ausstellung in München eine beispiellose Hetze von Seiten der CSU gegen die Ausstellung und deren Macherinnen gab. Besonders der CSU-Hardliner Peter Gauweiler nahm dabei eine führende Rolle ein.

Nachrichtenmagazine wie "Der Spiegel" und Focus übernahmen die Argumentation von Gauweiler und Co. Sie bezeichneten die Ausstellung fortan nur noch als »umstritten« und versuchten, deren Seriösität in Zweifel zu ziehen. Im Nacken saßen ihnen dabei Teile ihrer LeserInnenschaft, Ex-Generäle wie der rechte Reinhard Uhle-Wettler, Ex-Journalisten wie der Panorama-Gründer Rüdiger Proske, Teile der Bundeswehrführung sowie der Soldaten-und Vertriebenenverbände.

So war der gesellschaftliche Boden für den größten Neonaziaufmarsch nach 1970 bereitet. 5.000 Neonazis, mobilisiert von NPD/JN und den Strukturen der verbotenen militanten Neonaziorganisationen marschierten unter Parolen wie »Unsere Väter waren keine Verbrecher« am 1. März 1997 durch die bayerische Landeshauptstadt.

Im Rückblick muß dieser Aufmarsch als der Startschuß für die Re-Etablierung der NPD als stärkste legale neonazistische Organisation in Deutschland gewertet werden. Mit der Kampagne gegen die Ausstellung wurden die üblichen ideologischen Grabenkämpfe im rechten und neonazistischen Lager umgangen; Geschichtsleugnung wurde unter dem NPD-Vorsitzenden Udo Voigt zum einheitsstiftenden Thema gewählt. Mit dem Münchener Aufmarsch hatte die NPD zudem deutlich gezeigt, daß sie - in Abkehr ihrer bis dahin geltenden Strategie - fortan auch die Straße als ihr »Kampfterrain« wählen würde. Ohne die Demonstration in München wäre die NPD möglicherweise noch immer die verstaubte Neonazi Hinterzimmerpartei der frühen neunziger Jahre.

Die Mitte und der Rand

Die Kampagne gegen die Ausstellung wäre ohne die Rückendeckung der CSU und führender CDU-Vertreter wie des Ex-Verteidigungsministers Gerhard Stoltenberg (CDU) sowie des bis Dezember 1998 amtierenden Verteidigungsministers Volker Rühe (CDU) nicht möglich gewesen.

Aber auch die SPD hat sich keineswegs eindeutig für die Aufklärung über die Verbrechen der Wehrmacht ausgesprochen. So erklärte Bundeskanzler Gerhard Schröder in einein Interview mit dem französischen Publizisten Bernard Henri Lévy für Le Monde auf die Frage, ob er die Ausstellung gesehen habe: »Ich habe sie ebenfalls nicht gesehen. Aber ich kann es nicht zulassen, daß man sagt, eine Armee habe in ihrer Mehrheit derartige Verbrechen begehen können.« 1 Und Rühes Nachfolger Rudolf Scharping hält weiterhin an dem Erlaß fest, daß Bundeswehrangehörige die Ausstellung allenfalls als Privatpersonen und nur in Zivil besuchen dürfen.

In der Straßenmobilisierung blieb die NPD lange Zeit konkurrenzlos, bis sie Anfang letzten Jahres diese an die Strukturen des Netzwerkes Freie Nationalisten um Christian Worch und Thomas Wulff aus Hamburg abgab. Auch wenn eine mit München vergleichbare Mobilisierung nicht mehr gelang: Die NPD und die Freien Kameradschaften, die in München erstmals als eigener Block auftraten, ließen von da ab keinen Ausstellungsort mehr aus.

In Frankfurt, Marburg (wo Manfred Roeder selbst als Anmelder auftrat), Konstanz und Graz gab es kleinere Aufmärsche mit bis zu 80 TeilnehmerInnen. Ein neuerlicher Höhepunkt für die NPD stellte der Aufmarsch von 1.200 Neonazis am 24. Januar 1998 in Dresden dar. Es folgte ein Aufmarsch von ca. 500 Neonazis am 6. Juni 1998 in Kassel, bei dem die Freien Kameradschaften eng mit den REPs kooperierten. Drei Monate später demonstrierten 300 Neonazis in Münster, und am 24. Oktober 1998 folgte ein Aufmarsch von rund 1.000 Neonazis in Bonn. Im November und Dezember demonstrierten jeweils 80 bzw. 180 Neonazis in Hannover. Am 30. Januar diesen Jahres gelang es dann erstmals AntifaschistInnen, den Aufmarsch von 800 Neonazis in Kiel vorzeitig zu stoppen. Einen Monat später demonstrierten rund 400 Neonazis in Saarbrücken. Auch hier hatte die örtliche CDU zuvor massiv gegen die Ausstellung agitiert. Bei den Aufmärschen traten der früheren Neonaziterroristen Manfred Roeder und Peter Naumann auf. Zuletzt konnten AntifaschistInnen am 21. Mai einen Aufmarsch von 200 Neonazis in Köln vorzeitig beenden.

Am 9. März 1999 verursachte in Saarbrücken ein Sprengsatz am Ausstellungsgebäude und einer nahegelegenell Kirche erheblichen Schaden. Ein späterer Bekennerbrief endete mit dem Satz: "Die Kölner Kameraden warten auf Heer seine Mittäter." Dem Brief war ein Reststück des bei dem Sprengsatz verwendeten Zündkabels als Authentizitätsbeweis beigelegt worden. Diese Drohung bezog sich auf den Ausstellungs-Leiter Hannes Heer. Ein Münchner mit dem selben Nachnamen erhielt aus Salzburg ein Paket mit einer Bombenattrappe.

Ludwigslust/Hamburg - 5. Juni

Die Rückkehr der Ausstellung nach Hamburg rief dann auch prompt NPD und Freie Kameradschaften wieder auf den Plan. Angesichts sinkender TeilnehmerInnenzahlen bei den letzten Aufmärschen und des laufenden Europawahlkampfes wollte man »mindestens 1.000« TeilnehmerInnen nach Hamburg mobilisieren.

Nachdem der vom Vorsitzenden des Nationaldemokratischen Hochschulbund (NHB), Alexander von Webenau, angemeldete Aufmarsch gegen die Ausstellung jedoch in letzter Instanz verboten worden war - das Bundesverfassungsgericht hatte die Begründung der Hamburger Innenbehörde, es gäbe einen »Polizeinotstand« ähnlich wie auch in Bremen am 1. Mai bestätigt - gelang es den Freien Kameradschaften trotzdem, zu marschieren.

Versuche, nach Schwerin auszuweichen, wurden zwar verboten und durch einen Polizeisperrenkordon auch verhindert. Doch offenbar ging es nur darum, das Image der »Landeshauptstadt« nicht zu beschädigen. Die Schweriner Polizei-Sonder-Einheiten begleiteten die Neonazi-Reisebusse bis an den Ortsrand der nahegelegenen Kleinstadt Ludwigslust. Dann zogen sich die Schweriner Einheiten dezent zurück und überließen es allein einer Hand voll ziviler Berliner Polizei-Beamten, sich an die Spitze der formierenden Neonazidemonstration zu setzen und den Verkehr zu regeln.

Die anwesenden Führungskader der Freien Kameradschaften ergriffen die Gelegenheit beim Schopf: Fast zwei Stunden lang zogen 500 Neonazis Parolen brüllend unbehelligt durch die Straßen. Polizeieinheiten aus Brandenburg und Bayern, die eine Stunde nach Beginn des Aufmarsches eintrafen, wurden provoziert und umgangen. Beendet wurde der Auftritt erst, als die Neonazis ihre Busse schon fast wieder erreicht hatten. Die Aufforderung der Polizei, sich doch jetzt aufzulösen, wurde nach kurzen Verhandlungen abgewandelt. In geschlossener Marschformation durften die Neonazis zu ihren Bussen gehen und dann die Stadt - von einigen spontanen antifaschistischen Aktivitäten abgesehen - unbehelligt verlassen.

Währenddessen gelang es in Hamburg rund 1.500 AntifaschistInnen trotz des auch die Demonstration des »Hamburger Bündnisses gegen Rassismus und Faschismus« betreffenden Verbots und trotz vieler Festnahmen im Laufe des Vormittags, eine Spontandemonstration gegen die Neonazikampagne auf der Straße durchzusetzen.

Schon im Vorfeld des 5. Juni hatte die Arbeit des Bündnisses und Anschläge militanter AntifaschistInnen für Wirbel gesorgt. Das Motto der AntifaschistInnen »Den Naziaufmarsch zum Fiasko machen« ging jedoch nur teilweise auf. Mittlerweile sind die Freien Kameradschaften um Christian Worch und Thomas Wulff - wie in Ludwigslust gezeigt - bei entsprechender polizeilicher Unterstützung mühelos in der Lage, den bundesweiten harten Kern der militanten Neonaziszene unabhängig von den Strukturen der NPD zu koordinieren und zum Marschieren zu bringen.

In Ludwigslust beispielsweise ließ sich von der NPD-Spitze, mit Ausnahme von Steffen Hupka, nur deren Anwalt und Bundesvorstandsmitglied Hans Günther Eisenecker als Zaungast blicken. Die sich seit Anfang letzten Jahres abzeichnende Entwicklung, daß die Freien Kameradschaften die eigentlichen Träger der Straßenmobilisierung nicht nur gegen die Wehrmachtsausstellung sind und die NPD nur noch den legalen Rahmen zur Verfügung stellt, hat sich auch in Ludwigslust bestätigt. Dabei wird mit der NPD ganz pragmatisch kooperiert: Hat eine Aufmarschanmeldung durch die NPD Erfolg, bedient man sich deren Status als Wahlpartei. Scheitert die NPD, gehen die Freien Kameradschaften eben auf eigene Faust vor - flexibel, aktionsorientiert und immer um ihre Ausstrahlungskraft auf jugendliche Sympathisanten besorgt.

Die Allianz marschiert weiter

Für den 11. Juli 1999 haben NPD und NHB erneut einen Aufmarsch in Hamburg angemeldet. Doch gefährlicher als die noch kommenden Neonaziaufmärsche sind die gesellschaftlichen Folgen der Mitte-Rechts-Mobilisierung. Möglich ist diese Mobilisierung nur aufgrund des spezifischen Umgangs mit Geschichte, der hierzulande immer noch von Verdrängung, Mythenbildung und »Nestbeschmutzer«-Beschimpfungen gegen diejenigen, die die Mauern des Schweigens um die Verbrechen während des Nationalsozialismus, durchbrechen wollen, bestimmt ist. Dies zu ändern, hat sich das Hamburger Institut vorgenommen.

  • 1FAZ, »Ein paar Versuche, in Deutschland spazierenzugehen«, 17.Februar 1999