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Klassenkampf von Oben ?

Foto: Christian Ditsch

Der CDU Politiker Jörg Schönbohm im Wahlkampf.

Monate rasanter Entwicklung liegen hinter uns. Der deutsche Aktienindex DAX vermeldete Woche für Woche neue Höchststände, die großen Konzerne meldeten Umsatzsteigerungen ab 10 Prozent aufwärts, Profit wird soviel wie lange nicht mehr gemacht. Nur haben heute weniger Menschen einen Anteil daran. Folge ist die höchste Arbeitslosenzahl Nachkriegsdeutschlands mit offiziell 4,7 Millionen Menschen. Der gesellschaftliche Reichtum wird von Unten nach Oben gescheffelt. Propagandistisch begleitet wird dieser "Klassenkampf von Oben" mit Forderungen nach Maßnahmen »zur Sicherung des Industriestandortes Deutschland«, von dem Gespenst der »Globalisierung«, des allmächtigen Weltmarktes, dem man sich anpassen müsse, von Forderungen, den Gürtel enger zu schnallen, um nicht »über unsere Verhältnisse« zu leben, von der Hatz auf »Sozialschmarotzer«, von der Beschwörung einer »Rentnerschwemme« und ähnlich Widerwärtigem. Gezielt wird Existenzangst und ein Klima der Entsolidarisierung unter den "kleinen Leuten" verbreitet.

Die Bundesrepublik tritt in eine neue Phase. Das Modell des »Sozialstaates«, eine der wesentlichen Grundlagen der Bonner Republik, wird nach und nach aufgekündigt. Die Botschaft lautet »alle gegen alle, friß oder stirb«, lebe wie ein Wolf unter Wölfen. Konzepte und Lösungsmodelle der politischen EntscheidungsträgerInnen des Landes sind nicht in Sicht, vielmehr betonen alle Parteien, man könne sowieso nichts anderes machen, als sich dem Weltmarktgeschehen anzupassen.

Protest und Widerstand gegen diese Politik ist überfällig. Aktionen der Bauarbeiter und Bergleute gegen die Profiteure dieser Umverteilungspolitik sind mehr als gerechtfertigt, sie setzen die soziale Frage auf die Tagesordnung. Es gärt im Land und die Unzufriedenheit wächst, nur in welche Richtung wird dieser Unmut gehen? Gelingt es wieder eine Minderheit als Sündenböcke zu präsentieren, Verständnis für rassistische Gewalt zu zeigen, die Jagd freizugeben und so einen Blitzableiter zu schaffen? Daran wird anscheinend gearbeitet. Auch von Seiten der CDU/CSU, aus deren Reihen seit Anfang diesen Jahres verstärkt wieder der Anteil der AusländerInnen mit der hohen Arbeitslosigkeit verknüpft wird.

Einige PolitikerInnen dürften genau wissen was sie riskieren. Sie kennen den oft zitierten "Mechanismus zwischen Biedermann und Brandstifter". Sie haben ihn in den den Pogromjahren 1991-1993 erlebt. Einer der offenbar die Situation zuspitzen will, ist der Berliner CDU-Chef und Parteistratege Klaus Landowsky. Er zählt zum rechten Rand der CDU und ist Mitglied der "Sängerschaft Borussia Berlin". Um seine Vorstellung von einem sauberen Berlin zu demonstrieren, sprach er vor dem Berliner Abgeordnetenhaus vom »Abschaum«, der von China über Rußland, Rumänien usw. hierher gekommen sei, davon, daß Flüchtlinge aus Bosnien zuviel kosten, und schlußfolgerte: »Wo Müll ist, sind Ratten, wo Verwahrlosung herrscht, ist Gesindel.« Landowsky ist einer, der anscheinend mit System hetzt, der weiß, wie es um die explosive Mischung in der Stadt bestellt ist, in der jeder fünfte arbeitlos ist.

Während Landowsky propagiert, läßt ein ehemaliger Bundeswehrgeneral dezent und ganz weltmännisch die preußische Pickelhaube blitzen. Innensenator Jörg Schönbohm verfolgt das Ziel einer repressiven, sauberen Stadt und er ist rücksichtslos genug, dies offensiv durchzusetzen. Ein von ihm genehmigter, aber von AntifaschistInnen verhinderter Neonazi-Aufmarsch in Berlin-Hellersdorf war ihm willkommener Anlaß, die politische Jagd auf eines seiner größten Ärgernisse auf dem Weg zur »sauberen Stadt« zu verschärfen. Er erklärte kurzerhand die PDS verantwortlich für die Prügel, die einige der Kundgebungsteilnehmer der Neonazis bezogen haben. Der Berliner Neonazi Kay Diesner ließ den Aufforderungen Taten folgen. Er schoß auf einen PDS-Buchhändler und erschoß eine Woche später einen Polizisten.

Ein Szenario gleicher Strickart fand in der bayerischen Landeshauptstadt München statt, hinlänglich ungeschminkt und so plump, daß es auch für die gutmeinenden StaatsbürgerInnen einiges über die Haltung der politischen Abwickler des Sozialstaates erkennen läßt. Erst eröffneten die weiß-blau-karierten Christen an diesem Neujahr die neue Runde des »Haltet-den-Dieb-Geschrei«, nach hinlänglich bekanntem Muster. Zwei Monate später unterstrichen Peter Gauweiler und Co., daß sie sich nicht nur in diesem Themenbereich zur extremen Rechten zählen.

Mit politischer Aggresivität eröffneten sie die Kampagne gegen die Ausstellung über die Verbrechen der deutschen Wehrmacht, in der zusammenwuchs, was hier wohl auch zusammengehört: ewiggestrige Vaterlandshuldiger, Kriegsverbrecher, Burschenschafter, Konservative und Neonazis. Gauweiler tritt in die Fußstapfen des CSU-Übervaters FRANZ-JOSEPH STRAUß, der seinerzeit feststellte, daß man »bei der Auswahl seiner Hilfstruppen nicht zimperlich sein« dürfe und damit ebenfalls die extreme Rechte meinte. (FN: Strauß im Vertrautenkreis von CSU-Politikern im Spätsommer 1968 auf einer Klausurtagung der CSU-Oberen in Bad Reichenhall: "Man muß sich der nationalen Kräfte bedienen, auch wenn sie noch so reaktionär sind (...) Hinterher ist es immer möglich, sie elegant abzuservieren (...) mit Hilfstruppen darf man nicht zimperlich sein".) So war der Boden bereitet, um den größten Neonazi-Aufmarsch nach 1970 durch die Stadt ziehen zu lassen. 5.000 Mitglieder von NPD und ihrer Jugendorgansation JN sowie AnhängerInnen von verbotenen und von staatlicher Seite totgesagten Neonazigruppen boten Gauweiler an, mitzumarschieren.

Die Situation ist brisant wie in den Jahren 1991/92. Besonders bei den Demonstrationen der Bauarbeiter in Berlin war der rassistische Einfluß nicht zu übersehen. Steinwürfe auf ausländische Arbeiter spiegeln die rassistische Stimmung unter deutschen Bauarbeitern wieder, die rassistische Gewalt begleitet die sozialen Auseinandersetzungen als Drohung. Meinungsumfragen, die 1994 feststellten, daß 23 Prozent der Ostdeutschen und 17 Prozent der Westdeutschen der Meinung waren, daß Ausländer schuld an der Massenarbeitslosigkeit seien, stellten 1996 eine deutliche Steigerung fest: Jetzt teilten bereits 37 Prozent der Ostdeutschen und 35 Prozent der Westdeutschen diese Meinung.

Zur gleichen Zeit strebt die rassistische Gewalt auf den Straßen neuen Höhepunkten entgegen. Es sind größtenteils Jugendliche aus dem Einflußfeld der von Strauß benannten "Hilfstruppen", die mit gesteigerter Brutalität Immigrantinnen, ausländische Bauarbeiter, Behinderte, Punks und Linke attackieren, sie jagen und umbringen. Wie schon in der Kampagne gegen das Asylrecht explodiert die Saat des Hasses zuerst in Ostdeutschland. Daß es sich größtenteils um mehr oder weniger unorganisierte Überfälle handelt, macht die Angelegenheit nicht besser. Entstanden ist ein soziales und kulturelles Umfeld, in dem Neofaschismus gedeiht, wo viele die Meinungen teilen und nur wenige sich trauen, dagegen aufzutreten. Gerade deshalb sind die antifaschistischen Demonstrationen von München, Berlin, Aschaffenburg, Magdeburg und Eningen so wichtig. Sie zeigen den Mutlosen und Unschlüssigen, daß es auch andere Menschen gibt, die sich die zunehmende Verrohung nicht gefallen lassen wollen. Diese Menschen zu sammeln ist ein wichtiger Bestandteil antifaschistischer Arbeit. Die Augen für die soziale Frage zu öffnen und Stellung zu beziehen, ist eine Notwendigkeit angesichts eines rasanten Klassenkampfes von Oben.