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Neue Runde im V-Mann-Karussell

Einleitung

Fast immer, wenn in Deutschland von Neonazis Organisationen aufgebaut werden, hatten und haben die Sicherheitsbehörden ihre Finger im Spiel. Die Enthüllungen aus dem Innenleben der NPD sind dafür nur ein Beispiel unter vielen. Wenn jetzt Erstaunen über diese Praktiken geäußert wird, deutet das bestenfalls auf grobe Erinnerungslücken hin. Ein Fazit lässt sich ohnehin - unabhängig vom Ausgang des NPD-Verbotsverfahrens und weiteren Enthüllungen im V-Mann-Karussell - schon jetzt ziehen: Die Forderung nach einer Auflösung des Verfassungsschutzes ist heute aktueller denn je.

Wer steuert eigentlich wen ? Der frühere NPD-Landesvorsitzende von Mecklenburg-Vorpommern, Ronny Grubert (rechts), soll für das Landesamt für Verfassungsschutz in Mecklenburg-Vorpommern gearbeitet haben. Aussagen von Grubert waren im NPD-Verbotsantrag enthalten. Hier: Grubert bei einer Wahlkampfveranstaltung in Rostock-Schmarl, zur Landtagswahl im September 1998 mit Rechtsanwalt Peter Stöckicht (links).

Deutlich wurde in den jüngsten Enthüllungen, was AntifaschistInnen seit mehr als zwei Jahrzehnten betonen:1 Eine Infiltration der extremen Rechten bedeutet weder, dass deren Organisationen vom Geheimdienst gesteuert werden, noch, dass die dabei gesammelten Informationen sonderlich viel Einfluss auf einen gesellschaftlichen und politischen Umgang mit Neonazis haben. Wäre das anders, hätten die Verfassungsschutzämter schon vor einem Jahrzehnt vor einer zunehmend dynamischen rechtsextremen Bewegung warnen müssen. Dass sie das nicht getan haben und nach wie vor nur dann tun, wenn AntifaschistInnen und JournalistInnen die Öffentlichkeit über neue Entwicklungen informieren, liegt in der Logik des Apparats, der - um seine eigene Existenz zu rechtfertigen - allzu gerne suggeriert, alles »unter Kontrolle« zu haben.

Ein Beispiel hierfür ist das ungestörte Treiben von Blood & Honour in Deutschland über einen Zeitraum von mindestens acht Jahren. Bis kurz vor dem Verbot von B&H stritten die Sicherheitsbehörden trotz diverser Informanten unter den B&H Aktivisten rundweg ab, dass die neonazistische Musikszene in irgendeiner Form organisiert sei oder gar politisch strategisch vorgehen würde. Dazu kommt, dass für die von ehemaligen Nationalsozialisten aufgebauten bundesdeutschen Geheimdienste und Sicherheitsbehörden über Jahrzehnte nur die radikale Linke im Visier hatten. Auch wenn die Gründergeneration von BKA, BND und Verfassungsschutz inzwischen tot ist, hat deren Selbstverständnis und politische Ausrichtung rechts von der Mitte die Apparate tiefgreifend geprägt.2

Nicht vergessen werden sollte auch, dass es sich bei deren heutigen Mitarbeitern um Beamte handelt, die mehrheitlich unter der CDU/CSU/FDP-Koalition auf ihre Posten gekommen sind. Es ist illusionär zu glauben, dass eine »neue« Bundesregierung nach den 16 Jahren Kohl-Ära eine tatsächliche Kontrolle über diese Behörden und ihren Kurs ausüben kann. Beeinflusst wird die Auswahl und Bewertung der Informationen auch von der Tatsache, dass zwischen den Informanten und V-Mann-Führern enge persönliche Bindungen entstehen - ihre jeweiligen Karrieren sind schließlich von einander abhängig. Die strebsamsten Neonazis können auch die besten Informanten sein. Die Beispiele des langjährigen Neonazikaders und Informanten des brandenburgischen Verfassungsschutzes, Carsten Szczepanski, und des Führungskaders des Thüringer Heimatschutzes (THS) und Informanten des Thüringer VS, Tino Brandt, machen dies deutlich:3  

Für Neonazis ist die Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden aus verschiedenen Gründen äußerst attraktiv. Zum einen verschafft sie ihnen einen Freibrief zur Verfolgung ihrer politischen Ziele und Schutz vor staatlicher Verfolgung; zum anderen dient sie bei Informantenhonoraren zwischen 500 und 1.000 D-Mark schlichtweg der individuellen Existenzsicherung, die es den »politischen Soldaten« ermöglicht, ihren neonazistischen Aktivitäten »fulltime« nachzugehen. Daher ist das Ergebnis des NPD-Bundesparteitags am 16./17. März 2002 in Königslutter auch nicht weiter verwunderlich. Die Enttarnung der V-Männer hat die meisten NPD-Aktivisten nicht sonderlich erschüttert. Für die älteren unter ihnen ist die Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden eine Praxis, die ihnen seit langem lieb und teuer ist. Und die Jüngeren nehmen sie offenbar unter dem Aspekt hin, dass damit die Existenz der Partei gesichert werden kann. Schlichtweg lächerlich ist hier die pseudo-radikale Kritik an der NPD aus Kreisen der »Freien Kameradschaften«. Gerade dieses Spektrum bietet für die Sicherheitsbehörden ein riesiges Reservoir von Informanten; sei es in Form alter Kader der verbotenen Nationalistischen Front (NF), in der es von V-Männern nur so wimmelte, oder durch Androhung von Repression.

Drei Jahrzehnte V-Mann-Affairen

Einige Beispiele aus diversen V-Mann-Affairen: Während es heute neben der NPD vor allem Freie Kameradschaften und nach dem Prinzip des sogenannten führerlosen Widerstands agierende Gruppen gibt, die auf dem Sprung in den »nationalen Untergrund« sind, existierten zwischen Mitte der 70er bis Ende der 80er Jahre eine Vielzahl von regional und überregional aktiven Wehrsportgruppen, die auf jegliche »legale« Tarnung verzichteten und gezielte Bomben- und Brandanschläge verübten. Häufig mit dabei: Der Verfassungsschutz. So bastelte Ende der 70er Jahre der V-Mann des niedersächsischen Verfassungsschutzes Hans-Dieter Lepzien, Mitglied in der NSDAP/AO, selbst die Bomben für die Anschläge der in Niedersachsen agierenden Neonazitruppe Gruppe Otte.4 Zu den bekannteren Fällen gehören auch die V-Männer in der Nationalistischen Front (NF). Norbert Schnelle, Bernd Schmitt und Michael Wobbe. Bernd Schmitt leitete die Kampfsportschule Hak Pao in Solingen, in der die Anwärter des Nationalen Einsatzkommandos (NEK) der NF trainiert wurden. Im »kanakenfreien Training« von Hak Pao trainierten auch die Brandstifter von Solingen.

Erst nach dem Brandanschlag am 29. Mai 1993 wurde Schmitts eineinhalbjährige Tätigkeit für den nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz bekannt.5 Anfang 1996 outete sich dann der »Sicherheitschef« der NF, der ehemalige Neonazi Michael Wobbe, als Informant des niedersächsischen Verfassungsschutzes.6 Angesichts des Interesses der Sicherheitsbehörden an der NF gab es in der Neonaziorganisation detaillierte Anweisungen, wie nach ersten Kontaktaufnahmen von Verfassungsschützern zu verfahren sei. Der angeworbene Neonazi sollte sich mit seinem jeweiligen Gruppenleiter darüber verständigen, was er seinem VS-Führungsbeamten mitteilen sollte und was nicht. Das Geld, das der Verfassungsschutz für die »Informationen« zahlte, sollte in die Organisationskasse fliessen. So wie es beispielsweise Norbert Schnelle tat, von 1983 bis 1985 V-Mann des nordrheinwestfälischen Verfassungsschutzes. Auch Schnelle beteiligte sich an Straftaten, warnte die NF-Strukturen vor Hausdurchsuchungen und ließ einen großen Teil seines VS-Honorars in die NF-Parteikasse fliessen.7

Inwieweit die angeworbenen Neonazis mit diesem Doppelspiel überfordert waren und doch mehr preisgaben als abgesprochen, lässt sich nur in Einzelfällen rekonstruieren. Als gesichert gilt jedoch, dass ein derartiger Umgang in der 1995 verbotenen FAP genauso üblich war.8 Auch der NPD hat die Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz mehr genutzt als geschadet. Schliesslich wurde und wird finanzielle und strukturelle Aufbauhilfe geleistet. Das oft genannte Argument, die Behörden müssten mit zwielichtigen Quellen arbeiten, um »Schlimmeres« zu verhindern, ist angesichts der im Vorfeld mit NPD-Funktionären abgesprochenen Weitergabe der Informationen absurd. Die »Aufklärungsarbeit« des Verfassungsschutzes, die zutreffender mit »Desinformationspolitik« beschrieben werden kann, hat weder zehntausende von rechtsextremen Straftaten noch den Tod von über 100 Menschen seit 1990 verhindern können. Es ist an der Zeit, daraus die logische Konsequenz zu ziehen: Dass der Kampf gegen Rechtsextremismus nicht mit »Law & Order« zu gewinnen ist.