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Rechte Parallelwelten

Björn Resener
Einleitung

Gegen Masseneinwanderung, gegen den Bau von Minaretten und für die „Ausschaffung krimineller Ausländer“. Die Abstimmungsinitiativen der rechtspopulistischen Schweizer Volkspartei (SVP) lassen Neonazis nur wenig Raum, sich inhaltlich zu profilieren. Nicht zuletzt deshalb drängt die rechte Szene in die Klandestinität.

Bild: ch.indymedia.org/AAP/CC BY-SA 2.0 DE

Der Neonazi Kim S. bei einer Demonstration (mit Cobat 18 T-Shirt)

In einer denkbar knappen Abstimmung votierte die Mehrheit der Schweizer WählerInnen am 9. Februar 2014 für ein Ende der „unkontrollierten Immigration“ aus den EU-Staaten. Der Erfolg des SVP-Referendums „Gegen Masseneinwanderung“ wurde von rechten und rechtspopulistischen Parteien in ganz Europa begrüßt:

„Phantastisch“, triumphierte Geert Wilders von der niederländischen „Partei für die Freiheit“. „Die Grenzen gehören dem Volk“, posaunte Marine Le Pen vom französischen Front National in Richtung Brüssel. Und AfD-Chef Bernd Lucke forderte „auch in Deutschland ein Zuwanderungsrecht zu schaffen, das auf Qualifikation und Integrationsfähigkeit der Zuwanderer abstellt und eine Einwanderung in unsere Sozialsysteme wirksam unterbindet.“

Spätestens jetzt erkannten auch 70 Neonazis die Brisanz des Themas und trafen sich am Wochenende nach der Abstimmung zu einer unangemeldeten Demonstration in Solothurn. Sie vermummten sich mit weißen Theatermasken, entzündeten Fackeln und marschierten hinter einem Transparent mit der Parole „Asylanten Raus!“ durch die Stadt. Wie bei ähnlichen Aktionen deutscher Neonazis wurde der Auftritt gefilmt und online verbreitet.

Die Nacht-und-Nebel-Aktion ist exemplarisch für die rechte Szene in der Alpenrepublik. Im September 2014 haben Neonazis in Bern, einer davon mit Combat 18 T-Shirt, ein von Linken besetztes Haus gestürmt, die BewohnerInnen angefriffen und das Mobiliar zerstört.1 Die Unfähigkeit, sich inhaltlich zu profilieren und deutlich von der SVP abzugrenzen, wird durch martialisches Auftreten kaschiert. Denn konspirativ geplante Aufmärsche bieten zumindest eine Lebenswelt, die sich vom ordnungspolitischen Image der SVP abhebt.

Rechtsrocker...

Das Gleiche gilt für klandestin organisierte Rechtsrock-Konzerte. Hier hat sich vor allem die Blood & Honour-Sektion Zürich einen Namen gemacht. Am 21. September 2013 organisierte diese in Ebnat-Kappel im Kanton St. Gallen ein Konzert mit mehreren hundert Gästen aus ganz Europa. Anlass war der 20. Todestag der Rechtsrock-Legende Ian Stuart Donaldson. Neben der Schweizer Band Amok traten mit P.W.A. aus Estland, Chingford Attack aus England und Sniper aus Finnland Bands auf, die dem international agierenden Blood & Honour-Netzwerk zugerechnet werden.
Interessanterweise konnte die Veranstaltung ohne Intervention der Behörden stattfinden, obwohl der auflagenstarke Tages-Anzeiger im Vorfeld über das geplante Konzert berichtet und sogar den Schleusungspunkt bekannt gemacht hatte. Es darf also nicht überraschen, dass Neonazis aus dem süddeutschen Raum gemeinsam mit Blood & Honour Zürich auch zum 125. Geburtstag von Adolf Hitler ein Konzert organisieren konnten.

Es fand am 19. April 2014 im französischen Oltingue, nur wenige Kilometer vom Euroairport Basel-Mulhouse entfernt, statt. Das Line-Up war so hochkarätig, wie es sich die Rechtsrock-Szene nur wünschen konnte. Mit den US-amerikanischen Blue Eyed Devils konnten sogar die Gründerväter des neonazistischen Genres Hatecore für die Veranstaltung gewonnen werden. Daneben traten die deutschen Bands Kraftschlag, Legion of Thor, Heiliger Krieg und Tätervolk auf. Auch die finnische Band Sniper spielte wieder.

Bombenbauer...

Zu welchen Taten die im Blood & Honour-Milieu intonierten Vernichtungsphantasien motivieren, verdeutlicht nicht nur die Mord-Serie des NSU, sondern auch ein Fall aus der Schweiz. Denn am 4. August 2007 entgingen die Gäste eines antifaschistischen Festivals in der Berner Reitschule nur knapp einem Sprengstoffanschlag. Während sich in der Grossen Halle des autonomen Kulturzentrums gut 1.500 Menschen tummelten, fiel einigen BesucherInnen ein Rucksack auf, der in der Nähe des Mischpults lag. Ein Sicherheitsbeauftragter brachte die nach Benzin riechende Tasche durch einen Notausgang auf die Straße, wo sie kurz darauf detonierte. AugenzeugInnen berichten von einem Feuerball mit einem Durchmesser von bis zu fünf Metern.

Der Wissenschaftliche Dienst der Stadtpolizei Zürich rekonstruierte später, was im Inneren des Rucksacks passiert sein musste. Demnach zündete ein präparierter Wecker eine Rohrbombe, die wiederum drei mit Benzin gefüllte 1,5-Liter-PET-Flaschen zum brennen brachte. Inmitten der KonzertbesucherInnen hätte der Sprengsatz eine katastrophale Wirkung gehabt.

AntifaschistInnen wiesen bereits wenige Tage nach dem Anschlagsversuch darauf hin, dass der Neonazi Kim S. den Anschlag im Online-Forum von Blood & Honour erwähnte, noch bevor die Medien darüber berichteten. Außerdem hatte er dort wenige Monate zuvor in Bezug auf die „Anarchietage“ in Winterthur gefragt: „Wer kommt mit ne Bombe legen?“ Auf einer linken Schweizer Website wurden sogar Fotos veröffentlicht, die ihn bewaffnet und im T-Shirt von Combat 18 — dem militanten Arm von Blood & Honour — zeigen.2  Trotzdem stellte das Untersuchungsrichteramt Bern-Mittelland das Verfahren im März 2008 ein, weil es keine Ermittlungsansätze mehr sah. Dabei wurden bei der kriminaltechnischen Untersuchung der Bombe auch DNA-Spuren von drei Personen gefunden.

Waffennarr...

Eineinhalb Jahre nach der Tat stellte der damals 21-jährige Neonazi aus dem Berner Seeland ein Gesuch für einen Waffenerwerbsschein. Weil die Kantonspolizei wusste, dass Kim S. bereits einen Karabiner erworben und auf Fotos im Online-Forum von Blood & Honour mit verschiedenen Schusswaffen posiert hatte, lehnten die Behörden den Antrag ab und veranlassten stattdessen eine Hausdurchsuchung. Bei dieser entdeckte die Polizei am 30. März 2010 ein ganzes Waffenarsenal: Neben Pistolen, Karabinern, einer Kalaschnikow AK-47, einem Sturmgewehr 57, einer Pump-Action, diversen Magazinen, Munition, einem Schalldämpfer und Ziellasern wurden auch drei Wecker, elektronisches Zubehör, Ammoniumnitrat und handschriftliche Notizen zur Herstellung des Plastiksprengstoffs Semtex gefunden.

Von Kim S., der von sich behauptet, auch außerhalb des Internets mit Blood & Honour verkehrt zu haben, wurde nun doch eine DNA-Probe genommen. Der Abgleich mit der Datenbank lieferte einen Volltreffer. Sein DNA-Profil stimmt mit den Spuren überein, die an den Resten der Bombe aus der Reitschule sicher gestellt worden waren. Doch damit nicht genug: Einem Bericht der Schweizer Wochenzeitung (WOZ) zufolge meldete der Wissenschaftliche Dienst der Stadtpolizei Zürich den Berner ErmittlerInnen, dass die bei Kim S. beschlagnahmten Materialien „alle nötigen Komponenten (...) zur Herstellung einer Unkonventionellen Spreng- und/oder Brandvorrichtung (USBV)“3  enthalten. Zudem gebe es Hinweise „auf konkrete materialtechnische Zusammenhänge zum Anschlagsversuch bei der Reitschule“.4

Am 22. November 2010 folgte deshalb die nächste Hausdurchsuchung, bei der nun Plastikrohre mit Deckel sicher gestellt wurden, die dem bei der Rucksackbombe verwendeten Rohr gleichen. Auf den beschlagnahmten Rechnern und in einem Ordner fanden die ErmittlerInnen diverse Anleitungen für Bomben, Sprengstoffe und Zünder. Auch eine Anleitung für den Bau von Rohrbomben wurde bei der Razzia entdeckt. In einem weiteren Ordner hatte Kim S. ein Dossier mit Medienberichten über den Anschlag auf die Reitschule zusammengestellt.

...und doch nicht angeklagt

Dennoch: Im Januar 2013 verkündete die Bundesanwaltschaft, die Ermittlungen wegen der Bombe aus „Mangel an Beweisen“ einstellen zu wollen. Weil die NebenklägerInnen eine Beschwerde beim Bundesstrafgericht in Bellinzona einreichten, stand die endgültige Entscheidung aber lange aus. Mittlerweile droht Kim S. nun doch noch wegen dem Bombenanschlag auf die Reitschule ein Gerichtsverfahren. Das Bundesstrafgericht gab der Beschwerde über die Verfahrenseinstellung Recht: "Die Bundesanwaltschaft als Untersuchungsbehörde sei nicht dazu berufen, über Recht oder Unrecht zu richten. Es gelte der Grundsatz, wonach im Zweifel für eine Anklageerhebung («in dubio pro duriore») entschieden werden müsse."5 Nichtsdestotrotz war die Einstellung für die Schweizer Neonazi-Szene, die sich durch den Erfolg der Volksabstimmung gegen „Masseneinwanderung“ in ihrem Weltbild ohnehin bestätigt fühlt, ein weiteres Fanal. Es signalisierte ihnen, dass sie für ihre Gewalttaten nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Das dürfte ihre Eigenwahrnehmung als kompromisslose Vollstrecker des vermeintlichen Volkswillens nur noch bekräftigt haben.