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Rechter Attentäter (Halle) vor Gericht

Friedrich Burschel
Einleitung

Mit seinem Plan in die Synagoge in Halle einzudringen und jüdische Menschen zu ermorden ist ein Attentäter Anfang Oktober 2019 gescheitert. Dennoch waren am Ende zwei Menschen tot, einige schwer verletzt und Dutzende traumatisiert. Seit dem 21. Juli steht er deshalb vor Gericht.

Den Täter ärgert, dass er auf ganzer Linie „geloost“ hat. Sein einfältiger, aber virtuell anschlussfähiger Fanatismus bestimmte die ersten Tage des  Gerichtsverfahrens. Der Richterin gelingt es den vor Mitteilungsdrang berstenden Angeklagten mit  kleinteiligen Fragen aus dem Konzept zu bringen. Sie nötigte ihn Rede und Antwort zu stehen, wenn es etwa um die persönliche Entwicklung oder kindliche Prägung ging. Wo immer er versuchte Versatzstücke  seiner  Ideologie zu platzieren,  verbat sie ihm rassistische Ausdrücke.

Doch sowohl das Tatvideo als auch sein im Internet kursierendes Manifest dokumentieren ein schlichtes Weltbild, in dem die „Weißen“ mit dem Rücken zur Wand stehen und sich mit allen Mitteln gegen die perfiden Verschwörungen ihrer Feinde zur Wehr zu setzen haben.

Neonazistisches Attentat in Halle

Ein Satz im Video des Täters enthält alles, was man über das verdrehte Opfernarrativ wissen muss: „Der Feminismus ist der Grund  für  die  fallenden  Geburtenraten,  die als Ausrede für die Masseneinwanderung  herhalten  müssen,  die  Wurzel  aber  all  dieser  Probleme  ist  der  Jude.“  Reines  Glück  hat  verhindert,  dass  der  Angreifer  seinen  Plan  umsetzen  konnte.  Es  gelang  ihm  weder  die  Tür  zum  Synagogengelände  aufzuschießen,  noch  das  Tor  zum  jüdischen  Friedhof  aufzusprengen  und  auch  die  Brand-  und  Sprengsätze,  die  er  über  die  Friedhofsmauer  warf  verletzten  niemanden. Die Molotow-Cocktails zündeten  nicht  und  eine  Splitterbombe,  die  auf  dem  Friedhof  detonierte,  verursachte  nur  Sachschaden. 

Während  der  Angreifer minutenlang vor der Synagogenmauer wütete  und  die  zufällig  vorübergehende  Jana L. erschoss, begriffen die 50 Menschen  im  Innern  der  Synagoge  was  vor  sich ging. Die zum Jom-Kippur-Fest versammelte Gemeinde floh in die hinteren und oberen Räume des Gebäudes. Die Eingangstür des eigentlichen Synagogenbaus wurde mit allen greifbaren Gegenständen verrammelt. Nachdem der Angriff auf die Synagoge gescheitert war, stieg der Täter in sein Auto und fuhr davon.

Plan B war es in die Innenstadt zu fahren, um Schwarze und Muslime zu töten. Als er an der nächsten Ecke einen Imbiss  wahrnimmt,  beginnt  das  zweite  fatale Kapitel seines Anschlags. Er will alle Menschen im „Kiez-Döner“ töten. Auf dem Weg  über  die  Straße  schießt  er  auf  einen  Passanten, den er verfehlt. Eine geworfene Nagelbombe detoniert vor der Eingangstür und verletzt eine vorbeigehende Passantin am Fuß. Die Menschen im Imbiss versuchen zu fliehen und drängen in die hinteren Räume, verstecken sich in den Toiletten oder springen aus den rückwärtigen Fenstern des Gebäudes. Kevin S. kann sich nur noch hinter die Kühlschränke flüchten, wo der Täter den um sein Leben flehenden kaltblütig und wegen einer Ladehemmung seiner Waffe in mehreren quälend langen Anläufen erschießt.

Etwa  15  Minuten  nach  Beginn  der Angriffe ist die Polizei eingetroffen und der Täter liefert sich mit ihnen einen Schusswechsel. Ein Beamter trifft den Attentäter  am  Hals,  der  nun  die  Flucht  antritt.  In  deren  Verlauf  versucht  er  noch  einen  schwarzen  Lagerarbeiter  zu  überfahren.  Später  schießt  er  ein  Ehepaar  nieder,  das  ihm  die  Herausgabe  eines  Autos  verweigert.  Anschließend  bedroht  er  drei  junge  Männer und entwendet deren Auto. Erst danach  endet  seine  Flucht  ohne  weiteres  Blutvergießen mit der Festnahme.

Gerichtsprozess in Magdeburg

In Teilen ist die Befragung des Angeklagten von Versuchen geprägt, ihn argumentativ davon zu überzeugen, dass man doch „Juden“  gar  nicht  erkennen  könne.  Dass  es  sich  beim  Angeklagten  um  einen  eingefleischten Rassisten und fanatischen Judenhasser  handelt,  der  über  das  Internet  mit  einer  Welt  von  Verschwörungs-  und Vernichtungsfantasien in Verbindung steht,  in  der  die  Bedrohung  der  „weißen  Rasse“,  der  „Bevölkerungsaustausch“  und  die „Umvolkung“ eine „Realität“ ist, hält die Fragenden nicht weiter ab. Erst  der  Nebenkläger  und  Geschäftsführer  der  jüdischen  Gemeinde  zu  Halle  Max Privorozki betonte, er könne sich nicht vorstellen,  dass  die  jahrelange  Vorbereitung der „Operation“ am 9. Oktober 2019 habe vonstatten gehen können, ohne dass die Eltern etwas davon mitbekommen hätten.

Wie bejahend das Umfeld zu seinem ideologischen Hass stand, kam fast zufällig heraus. Offenbar hatte eine immerhin verzweifelte Mutter am Tag des Anschlags versucht  sich  das  Leben  zu  nehmen  und  deshalb einen Abschiedsbrief an ihre Tochter geschrieben. In diesem Brief malte sie mehrere  durchgestrichene  Davidsterne  auf das Papier und betonte, ihr Sohn habe „sein Leben gegeben - für die Wahrheit – für euch“, es aber nicht geschafft, da „die Juden freie Hand hatten“. Die Mutter selbst war u.a. Grundschullehrerin für Ethik. Von ihrer  Tochter  hat  sie  CDs  von  „Frei.Wild“  und  „Böhse  Onkelz“  geschenkt  bekommen,  wie  der  Ex-Schwiegersohn  berichtete.  Doch  auch  er  kommt  aus  der  Neonazi-Szene, wie auf Nachfrage der Nebenklage eingeräumt werden musste.

Besonders ihr bleibt es auch in diesem Verfahren überlassen, immer wieder essentielle Fragen nach den Aktivitäten des Angeklagten im Internet zu stellen und die mangelhaften Ermittlungen der Behörden gerade in diesem Bereich zu monieren. Aufgrund der behördlichen Tiefenunschärfe in der Einschätzung von Tat, Täter und Motiv laufen alle  Interpretationen  am  Ende  immer  auf  den Einzeltäter hinaus.

Die Shoah ist vorbei, aber weiter wirksam

Was den Magdeburger Prozess von anderen,  insbesondere  dem  NSU-Verfahren,  unterscheidet,  sind  letztlich  jedoch  die  Aussagen der Überlebenden und die Art, wie sie das Verfahren in Teilen bestimmten. Auch in München hat es Stellungnahmen  und  Bekundungen  der  Opferzeug_innen  und  Angehörigen  der  Ermordeten  gegeben.  Nur  versuchten  dort  stets  Verteidiger_innen  oder  die  Bundesanwalt-schaft zu unterbrechen und beanstandeten bestimmte „Abschweifungen“. Im Magdeburger Gerichtssaal wird den Betroffenen zugehört.  Es  wird  ihnen  Raum  gegeben  für  ihre  aufwühlenden  und  erschütternden Zeugnisse. Mit den Aussagen der Men-schen, die den Angriff in der Synagoge durchlitten haben, erscheint die Shoah in einem deutschen Gerichtssaal und fordert in den Aussagen der Enkel und Urenkel der Opfer  des  deutschen  Zivilisationsbruchs  nicht  nur  Gehör,  sondern  auch,  dass  der  Zusammenhang mit dem aktuellen rechten Terror weltweit gesehen wird.

Viele der Betroffenen in der Synagoge sind Nachkommen von Holocaust-Überlebenden und finden sich im Land der Täter mit  dem  familiären  Trauma  konfrontiert,  nachdem  auch  sie  von  einem  Deutschen  getötet  werden  sollten.  Die  Rabbinerin  Rebecca Blady erklärte: „Das Gericht muss verstehen,  dass  die  Shoah  zwar  vorbei,  aber weiter wirksam ist.“ Ihr Ehemann, der Rabbiner Jeremy Borovitz, hatte, wie viele andere die den Angriff in der Synagoge erlebten,  vom  ungeheuerlichen  Umgang  der Polizei mit den Betroffenen erzählt. Es habe keinerlei Zuneigung für die Menschen in der Synagoge gegeben, so Borovitz.  Vielmehr  seien  sie  wie  Verdächtige  behandelt worden.

Beeindruckend  wie  bedrückend  waren  die Bezugnahmen aller Betroffenen auf die  beiden  Getöteten.  In  der  Zeit  unmittelbar nach dem Anschlag hatten die sehr unterschiedlichen  Opfergruppen,  die  der  Attentäter angegriffen hatte, sich verständigt und Kontakt aufgenommen. Gespräche untereinander und gemeinsame Teilnahme  an  Kundgebungen  gegen  rechten  Terror, Rassismus und Judenhass gehören zu den Entwicklungen nach dem 9. Oktober 2019.

Folgen des Attentats

Alle Menschen, die der Täter angriff und zum Teil schwer verletzte, leiden seit der Tat unter Traumata, Angstzuständen oder Panikattacken im öffentlichen Raum. Und doch haben alle, die im Gerichtssaal gehört wurden,  darauf  bestanden,  dem  fanatischen Attentäter und seinesgleichen eine humane  Weltsicht  sowie  die  Vision  einer  respektvollen  Gemeinsamkeit  der  Vielen  entgegenzuhalten  und  sich  darin  aufeinander bezogen. Die Botschaft von Halle ist also nicht die Tat eines fanatischen Rassisten und Mörders, sondern die Hoffnung, dass Menschen guten Willens gemeinsam dem Hass widerstehen und entgegentreten können.