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Rudolf Heß »Gedenkmarsch« mußte ausfallen

Bild: rabatz/Reprofoto von aida

Kai Dalek gehörte zu den Drahtziehern des Rudolf Heß Marsches.

Die große Pleite

Bereits Wochen vor dem 16. August liefen die Vorbereitungen auf Hochtouren. Das sogenannte Aktionskomitee Rudolf Heß verbreitete die ersten Aufrufe zum diesjährigen »Rudolf Heß-Gedenkmarsch«. Wie schon in den vergangenen Jahren sollten in den Wochen vor und nach dem zentralen Aufmarsch am 16. August dezentrale Aktionen von Neonazis durchgeführt werden. Der Heßmarsch 1997 sollte etwas ganz besonderes werden, immerhin jährte sich der Todestag des Hitlerstellvertreters, bereits zum zehnten Mal. An der Vorbereitung beteiligten sich nicht nur die Führungskader der Jungen Nationaldemokraten (JN), sondern auch andere Neonazikader, wie Frank Schwerdt von der Partei Die Nationalen e.V. und Michael Swierzek, ehemals Kader der verbotenen Nationalen Offensive. Im Hintergrund die Fäden in der Hand hielt mal wieder Kai Dalek, obwohl er, wie in den vergangenen Jahren, auf der Straße nicht präsent war. Die dezentralen Aktionen am 9. August, verschiedene geplante Autokorsos die allesamt verboten wurden, ein Miniaufmarsch von ca. 60 Neonazis in Burg bei Magdeburg und eine Saalveranstaltung im Ruhrgebiet, wurden von den Neonazis noch als Erfolg gewertet. Der, wie immer großspurig angekündigte, zentrale Aufmarsch am 16. August endete für die Neonazis in einem Desaster. Die Nationalen Infotelefone (NIT) mobilisierten seit dem Vorabend, mit dem Hinweis, Autobahnen zu meiden, in den Raum Kassel. So drückten sich viele Neonazis seit den Morgenstunden in ihren aufgemotzten PKW's auf hessischen und südniedersächsischen Landstraßen herum. Gegen Mittag wurden sie in den Raum Braunschweig umgeleitet und ein erster Aufmarschversuch in Wolfenbüttel gestartet. Bereits hier zeigte sich, daß die Neonazis kein leichtes Spiel haben würden. Nicht nur, daß die Polizei erstaunlich konsequent diesen ersten Versuch unterband und Platzverweise aussprach, auch etliche Antifas waren ihnen dicht auf den Fersen. Ein zweiter Versuch am Braunschweiger Bahnhof scheiterte ebenso kläglich. Viele von den schätzungsweise 200 Neonazis, die in die Region gekommen waren, erreichten die angegebenen Orte viel zu spät oder wurden von der Polizei aufgehalten. In Braunschweig kamen nach und nach nur etwa 60 Neonazis an. Unter ihnen Christian Hehl, der sich die gesamte Zeit nicht von einer Fußgängerbrücke heruntertraute, Klaus Beier , der JN-Pressesprecher, Tino Brandt aus Saalfeldt (Thüringen) und Oliver Schweigert aus Berlin. Verzweifelt wurde ein letzter Aufmarschversuch im benachbarten Königslutter gestartet. Über einen von der Sauerländer Aktionsfront (SAF) eingerichteten Schleusungspunkt wurden ca. 150 Neonazis in die Innenstadt geleitet. Wie schon in Wolfenbüttel und Braunschweig waren Polizei und Antifas zur Stelle. Als es zum Aufeinandertreffen von Antifas und Nazis kam, wurden nach Polizeiangaben 110 Neonazis und 31 AntifaschistInnen festgenommen. Die Polizei richtete eine provisorische Gefangenensammelstelle auf einem nahegelegenen Tennisplatz ein, wo die Neonazis zusammengepfercht auf ihren Abtransport warteten, während die Antifas freigelassen wurden. Unter den in sogenanntes Sicherheitsgewahrsam genommenen Neonazis befanden sich u.a. der SAF-Aktivist Michael Krick, Siegfried Borchardt aus Dortmund, die JN-Funktionärin Melanie Dittmer aus Dorsten und der JN-Bundesvorsitzende Holger Apfel. Der als Schleuser fungierende Andre Zimmermann (SAF) blieb jedoch unbehelligt. Wie schon am 1. Mai versuchten Neonazis auch kleinere Aufmärsche in anderen Regionen durchzuführen. So gab es Versuche in Rinteln, Solingen, Öhringen (Baden-Württemberg) und auf der Wartburg bei Eisenach (Thüringen). Diese Versuche wurde allesamt von der Polizei verhindert oder nach einer halben Stunde beendet. In Halle und Hannover beendeten Antifas die Neonaziaktionen. In Halle kam zu Auseinandersetzungen zwischen Antifas und ca. 50 Neonazis die in der Innenstadt am Händeldenkmal aufmarschieren wollten. Am späteren Abend kam es in Hannover ebenfalls zu Auseinandersetzungen zwischen Antifas und sich versammelnden Neonazis, wobei 50 Neonazis in die Flucht geschlagen wurden und, so die Antifas, »zahlreiche Neonazis im Zuge direkter Konfrontationen verletzt« wurden. Lediglich im dänischen Köge gelang es ca. 150 Neonazis unter massivem Polizeischutz aufzumarschieren, während im benachbarten Roskilde 1000 Menschen gegen den Neonaziaufmarsch demonstrierten. An der Demonstration nahmen u.a. Neonazis aus den Niederlanden, Finnland, Norwegen und Schweden teil. Etwa zehn deutsche Neonazis waren angereist. Bereits vor zwei Jahren marschierten Neonazis anläßlich des Heß-Todestages in Roskilde, wurden damals jedoch von Antifas und aufgebrachten Bürgerinnen attackiert und verjagt. Vor dem Domizil der DNSB (Danmarks Nationalsocialistiske Bevægelse) und dem Haus von Parteichef Jonni Hansen in Havdrup, setzte die Polizei Tränengas gegen protestierende Antifaschistinnen ein. In Köge, dem Ort des Aufmarsches, wurden die Neonazis mit einem Sonderzug der dänischen Bahn vor den herbeieilenden Antifas in Sicherheit gebracht.

Was bleibt als Resümee?

Der »Rudolf Heß-Gedenkmarsch« war für die Neonazis in diesem Jahr ein Fiasko. Nicht nur, daß sie sich erneut als unfähig erwiesen haben, mehr als den immer gleichen Kreis von Kadern und dessen direktes Umfeld zu mobilisieren, auch ihre konspirativen Ausweichversuche scheiterten kläglich. Ihren Mobilisierungsbonus vom Aufmarsch in München, als es ihnen gelang, ca. 5.000 Alt- und Neonazis zu mobilisieren, der auch am 1. Mai noch spürbar war, haben sie wohl vorerst verspielt. Schätzungsweise waren insgesamt 500 bis 600 Neonazis unterwegs, um sich an einem zentralen Heß-Gedenkmarsch zu beteiligen. Ohne die Unterstützung von rechts-konservativen Kreisen, wie in München, schaffen sie momentan keinerlei Massenmobilisierungen. Andererseits ist auch die Moral der Neonazis erschüttert. Ein solcher Reinfall geht an die Substanz. Die JN, die sich sonst immer als stärkste Kraft im militanten Neonazilager hinstellt, konnte diesem Anspruch in keiner Weise gerecht werden und das großspurige Getue der JN-Kader scheint für viele Neonazis nicht mehr viel an Anziehungskraft zu besitzen. Ihre zahlreichen Versuche, in kleineren Gruppen, querbeet in der Bundesrepublik zu marschieren, sind ohnehin zum Scheitern verurteilt. Erstaunlich ist nur das Verhalten der Polizei. Das es problemlos möglich ist, Neonaziaufmärsche zu verhindern, hat sie dieses Jahr bewiesen. Nötig ist dazu jedoch ein politischer Wille, der sich von Jahr zu Jahr ändert. Die Ausreden der vergangenen Jahre, von Pannen und unglücklichen Umständen, sind vor dem Hintergrund der diesjährigen Aktionen noch unglaubwürdiger. Im nächsten Jahr kann die Situation jedoch wieder ganz anders aussehen. Daß das Verlassen auf staatliches Eingreifen gegen Neonazis ein Irrweg ist, haben AntifaschistInnen aus den Erfahrungen der vergangenen Jahre gelernt. So gab es bereits im Vorfeld und am Tag des Heßmarsches antifaschistische Demonstrationen in verschiedenen Städten, z.B. in Goslar, München, Quedlinburg, Nürnberg und Bergisch-Gladbach. Fast überall, wo die Neonazis ihre Aufmarschversuche starteten, waren schnell Antifas zur Stelle, die - wo es möglich war - ihrerseits eingriffen, um das braune Treiben zu unterbinden. Dadurch war es den Neonazis unmöglich, sich ungestört zu versammeln, sie mußten sich ständig neue Ausweichorte suchen.

Chronik der »Rudolf-Heß- Gedenkmärsche“

1987: Rudolf Heß begeht im Spandauer Kriegsverbrechergefängnis Selbstmord. An seinem Grab salutieren rechtsbürgerliche Kreise, Alt- und Neonazis.

1988: Zum 1. Todestag findet der erste »Rudolf-Heß-Gedenkmarsch« in Wunsiedel statt. Trotz diverser Streitigkeiten finden sich an Heß' Grab alle Fraktionen der Neonazisszene zusammen.

1989: 200 Neonazis nehmen am Aufmarsch in Wunsiedel teil. Zu den Drahtziehern gehören Christian Worch (Nationale Liste), Berthold Dinter (HNG) und Friedhelm Busse (FAP).

1990: In diesem Jahr gibt es die erste größere Antifamobilisierung gegen den Heß-Marsch. Etwa 2.000 Antifas demonstrieren in Wunsiedel, die Polizei sorgt jedoch dafür, daß die Antifas nicht mit den ca. 500 Neonazis aufeinandertreffen.

1991: Erstmals können die Neonazis nicht in Wunsiedel marschieren und müssen nach Bayreuth ausweichen. Durch die Unterstützung von Neonazis aus der ehemaligen DDR nehmen 2.000 Neonazis an dem Aufmarsch teil.

1992: Der »Rudolf-Heß-Gedenkmarsch« erreicht seinen vorläufigen Höhepunkt, als 2.000 Neonazis durch Rudolstadt demonstrieren. Wie schon im jähr zuvor sorgt ein starkes Polizeiaufgebot dafür, daß Antifas und Neonazis getrennt demonstrieren.

1993: Durch beginnende staatliche Repression ist den Neonazis ein Teil ihres Mobilisierungspotentials abhanden gekommen und so nehmen nur noch 500 Neonazis an dem Aufmarsch statt. Trotzdem ist dieser Aufmarsch in Fulda für sie ein Erfolg. Christian Worch, Bela Ewald Althans und Siegfried Borschardt galten szene-intern als wesentliche Organisatoren. Der dänische Neonazi Henrik Kristensen und der englische Neonazi John Peacock traten als Redner auf. Aus Schweden waren der Neonazi Per-Anders Lennart Johannsson (Pajen) und Mitglieder der RechtsRock-Band Dirlewanger angereist.

1994: Neonazis randalieren vor der Deutschen Botschaft in Luxemburg und werden festgenommen, während in Deutschland Antifas vor den Wohnungen von Neonazikadem demonstrieren. Als Koordinatoren der Rudolf Heß Aktivitäten galten in Neonazi-Kreisen u.a. Norbert Weidner, Andre Zimmermann und Kai Dalek.

1995: Der Aufmarsch findet diesmal im dänischen Roskilde statt. Die 180 Neonazis werden von der dänischen Bevölkerung und Antifas attackiert und ergreifen die Flucht. Insgesamt sollen bis zu 150 deutsche Neonazis wie der Berliner Hartmut S. vor Ort gewesen sein.

1996: 500 Neonazis beteiligen sich erstmals wieder an Aktionen zum Heß-Todestag in der BRD. Die Polizei läßt die Neonazis in Worms und Merseburg gewähren, während die Proteste von AntifaschistInnen eher dürftig sind. In Worms galten u.a. Thomas Wulff, Holger Apfel und Jens Pühse als Anführer des Marsches. Im Vorfeld traten szene-intern u.a. Kai Dalek und Andre Zimmermann als Mitorganisatoren in Erscheinung. Mehreren Hundert Neonazis aus Deutschland (u.a. Hartmut S. aus Berlin), Norwegen, Dänemark, England und Schweden nehmen an einer Rudolf-Heß-Gedenkveranstaltung in Trollhättan (Südschweden) teil. Es kommt zu Auseinandersetzungen mit Antifas.