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Warum Neonazis im Rap nichts verloren haben

Ein Kommentar von Alex Barbian (Musikjournalist)
Einleitung

Rap ist Battle. Jede Person, die sich innerhalb unseres Genres bewegt, hat dieses (zugegebenermaßen) floskelhafte Credo verinnerlicht, auch wir Szene-Journalis­t*innen. Interne und öffentliche Auseinandersetzungen mit Rapper*innen ge­hören gewissermaßen zu unserem Berufs­alltag: Wenn wir eine Neuveröffentlichung negativ rezensieren oder Künstler*innen für politisch fragwürdige Aussagen tadeln, ist uns bewusst, dass wir - quasi automatisch - einen Ring betreten haben, in dem Hip-Hop-Regeln gelten und Meinungsverschiedenheiten teils in rauem Ton ausgetragen werden dürfen. Damit können wir gut leben. Im Laufe der letzten Jahre haben wir viele nervenaufreibende Diskussionen geführt: Über sexistische und homophobe Lines, Männlichkeits- und Frauenbilder in Musikvideos, neoliberales Phrasengedresche und dutzende andere regressive Entgleisungen und Absurditäten, die deutscher Rap quasi im Wochenrhythmus reproduziert hat. Worauf wir uns dabei Szene-intern trotzdem stets einigen konnten, war allerdings ein antirassistischer Minimalkonsens. Uns alle - Rapper*innen wie Medienschaffende - verbindet zumindest ein Bewusstsein dafür, dass kein anderes Musikgenre enger mit der bundesdeutschen Einwanderungsgeschichte verflochten ist als Rap. Und, dass Rap, in Deutschland wie international, stolz darauf sein kann, ein empowerndes Sprachrohr für marginalisierte Gruppen zu sein.

Christoph Zloch alias „Chris Ares“ (Bildmitte) am 5. November 2016 bei einem rechten Aufmarsch in Berlin.

Weil ein gesamtgesellschaftlicher Ruck nach Rechts aber selbstverständlich nicht vor der faktisch größten kulturellen Diskurskraft unserer Zeit Halt macht, sehen wir uns besonders in den letzten Monaten immer häufiger mit selbsternannten „Patriot*innen“ konfrontiert, die den eben beschriebene Minimalkonsens zwar einerseits mit Füßen treten, sich andererseits aber dennoch als Akteur*innen unserer Szene zu inszenieren versuchen: Rappende Neonazis. Auch wenn der Begriff „NS-Rap“ schon seit den frühen Nullerjahren durch organisierte rechte Kreise geistert, wurde er für Rapfans und engagierte Musikjournalist*innen frühestens ab 2011 und konkret durch die ersten einschlägigen Veröffentlichungen des Gütersloher Neonazi-Rappers „MaKss Damage“, bürgerlich Julian Fritsch, überhaupt wahrnehmbar. Fritsch, dessen letztes Album vor knapp zwei Jahren erschienen ist, bekennt sich offen zum Nationalsozialismus, bezeichnet sich in seinen Songtexten unverblümt als „Rassist“ und pflegt ein gutes Verhältnis zur Neonazi-Partei „Der III. Weg“. Er lässt kein Zweifel an seiner politischen Gesinnung und Radikalität.

Auch wenn es „MaKss Damage“ - nicht zuletzt bedingt durch mangelnde musikalische Fertigkeiten  - zu keinem Zeitpunkt gelungen ist, ein Publikum anzusprechen, das nicht schon vorher in politisch organisierten Zusammenhängen verankert war, hat er doch eine Tür aufgestoßen. Mit der Inanspruchnahme einer traditionell schwarzen Kulturtechnik - Sprechgesang auf Hip-Hop-Beats - hat er mit einem ideologischen Tabu des Rechtsradikalismus gebrochen. Problematisch ist, dass in Fritschs Fußstapfen seit einigen Jahren allen voran ein Mann tritt, der dessen Vorleistung auf mehreren Ebenen zu perfektionieren weiß: Christoph Zloch aka „Chris Ares“. Obgleich seine Songtexte von einem chauvinistischen und deutsch-nationalen Weltbild geprägt sind, antisemitische Verschwörungstheorien aufgreifen und nur so von rassistischen Ressentiments und kruden Allmachtsphantasien strotzen, gelingt es Zloch außerordentlich gut, eine bürgerliche Fassade durch geschickte Rhetorik aufrechtzuerhalten. „Chris Ares“ ist der erste selbsternannte „NS-Rapper“, der fernab der organisierten Rechten eine schwer zu leugnende Aufmerksamkeit genießt, Aufrufzahlen im teilweise sechsstelligen Bereich erzielt hat und - besonders durch einen vielbesprochenen Auftritt bei „SPIEGEL TV“ im August 2019 - zu einem wiederkehrenden Gesprächsthema in der deutschen Rap-Landschaft avanciert ist.

Einen exemplarischen Schlüsselmoment im aktuell drohenden Annäherungsprozess der  deutschsprachigen Rapszene mit „NS-Rap“ stellte in meinen Augen allerdings ein anderer öffentlicher Auftritt Zlochs dar. Ende April diesen Jahres bekam er, was er seit Monaten forciert hat: Ein Interview auf einer prinzipiell neutralen HipHop-Plattform und damit eine ausführliche Unterhaltung in gemütlichen und freundschaftlicher Atmosphäre. Eben ein Rap-Interview vor einem Rap-Publikum, mit einem naiven Gesprächspartner, der ihm argumentativ nicht im Entferntesten Paroli bieten konnte. Als Reaktion auf dieses Interview habe ich einen kritischen Text veröffentlicht, den ich im weiteren Verlauf dieses Beitrages teilweise rezitieren werde.

Auch wenn der YouTube-Kanal „SOUND­STARSTUDIOS“, auf dem besagtes Interview veröffentlicht wurde, kein wirklich relevantes Format in unserem Medienkosmos darstellt, war der Schulterschluss mit „Chris Ares“ ein verheerendes Signal. Dass dieser keine Gelegenheit auslassen würde, um Plattformen wie diese zur Imagepolitur zu nutzen, war von vornherein klar. Und wenn die Neue Rechte eines kann, dann genau das: Sich freundlich, nahbar, bodenständig und gesprächsbereit geben. Den Zuschauern vorgestellt als „umstrittener Rapper“, dem – so suggerierte es auch der Interviewer – fälschlicherweise der Nazi-Stempel aufgedrückt wird, inszenierte sich „Chris Ares“ als ex-linker Moralist und Rapfan. Als „Junge von nebenan“, der mit der Musik von 2Pac, Eminem und Fler aufgewachsen sei und sich von klein auf mit den Werten der Hip-Hop-Kultur identifiziert habe. „Politisch aktiv“ sei er nie gewesen, ein „Nazi“ sowieso nicht. Allerhöchstens ein heimatverbundener Pazifist und Amerika-Kritiker, der jungen Menschen mit seiner Musik ein Alternativprogramm zum drogen- und gewaltverherrlichenden Mainstream-Rap anbieten wollte.

Was er im Interview sehr bewusst nicht erwähnt hat, ist, dass er im Laufe der letzten Jahren beständig als Führungsfigur im nationalistischen „Bündnis deutscher Patrioten“, einem Tummelplatz einschlägiger rechtsradikaler Kader, in Erscheinung getreten ist und enge Kontakte zur „Identitären Bewegung“ pflegt. Christoph Zloch marschierte gemeinsam mit Mitgliedern der Partei „Die Rechte“ bei „Pegida München“, trat bei Wahlpartys der AfD in München und von Björn Höcke veranstalteten Demonstrationen in Thüringen auf. Floskeln vom „Heldenkampf“, von „deutschem Blut“, vom „Machtwechsel“ oder vom sogenannten „großen Austausch“ - allesamt in seinen Songtexten präsent - kommen bekanntlich nicht von ungefähr, sondern sind seit Jahren fest im Sprech stramm neurechter Ideologen verankert. Dass Meinungsmacher des neurechten und teilweise verschwörerischen Spektrums wie Martin Sellner, Oliver Janich oder jüngst Xavier Naidoo dem trojanischen Pferd Christoph Zloch dieser Tage öffentlich den Rücken stärken, ist kaum überraschend. Ihre Annäherung an Zloch unterstreicht nur die Gefahr, die von seiner Musik ausgeht.

Weil Rap – allein historisch – ein in der Black Community entstandenes Spielfeld für Menschen am Rand der Gesellschaft, für sozial Unterdrückte und Opfer von rechtem Hass ist, muss es innerhalb der Kultur weiterhin Konsens sein, dass Neonazis Steilvorlagen wie jenes Interview verwehrt bleiben. Auch, weil sie erfahrungsgemäß selbst von gut geführten Streitgesprächen profitieren. Menschenfeindlichen Positionen keine Redezeit auf den Kanälen etablierter Rapmedien einzuräumen, hat nichts mit Zensur oder einer Beschränkung der Meinungsfreiheit zu tun.

Und um die konkrete Geschichte zu Ende zu erzählen: Keine zwei Stunden nach Veröffentlichung meines Textes zur Kritik am offenen Austausch mit „NS-Rappern“ reagierte Zloch im Rahmen eines zehnminütigen Livestream-Videos auf mein Statement. Dort nannte er mich einen „Faschisten“ und hetzte seine Anhänger*innenschaft gegen mich auf, indem er meinen Namen und meine Social-Media-Acc­ounts zur Kernbotschaft seiner Ansprache machte und davon absah, inhaltlich auf meine Vorwürfe ihm gegenüber einzugehen. Das Ausmaß des darauffolgenden Shitstorms hat mich - zugegebenermaßen - überrascht. Das sich anbahnende Neonazi-Problem innerhalb unserer Szene zu lösen - und zwar keinesfalls nach den Eingangs beschriebenen Regeln eines kommunikativen Battles zwischen Hip-Hop-Freunden - empfinde ich spätestens seitdem als vielleicht wichtigste Aufgabe einer kritischen Presselandschaft innerhalb des Genres.

(Alex Barbian ist freier Musikjournalist und Moderator. Er arbeitet unter anderem für rap.de, das JUICE Magazin und MTV Germany.)