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Wie starb Oury Jalloh?

Regina Götz, Rechtsanwältin (Berlin)
Einleitung

Oury Jalloh, ein Flüchtling aus Sierra Leone, starb am 5. Januar 2005 im Polizeigewahrsam Wolfgangstraße in Dessau. Bis heute sind die Umstände seines Todes nicht geklärt.

Gedenkdemonstration für Oury Jalloh.

Er wurde am Morgen des 7. Januar 2007 gegen 8.00 Uhr von der Polizei festgenommen und in das Polizeirevier gebracht. Dort wurde er von einem Arzt untersucht, der ihn als gewahrsamsfähig einstufte, und dann, an Händen und Füßen an die Wand bzw. den Fußboden gefesselt in der Zelle 5 untergebracht. Spätestens um 12.05 Uhr brach in der Zelle ein Brand aus und Oury Jalloh starb in den Flammen.

Im Mai 2005 erhob die Staatsanwaltschaft Dessau Anklage zum einen gegen den Dienstgruppenführer Andreas S. wegen Körperverletzung mit Todesfolge durch Unterlassen, sowie gegen den Polizeibeamten Ulrich M., der Oury Jalloh durchsucht hatte, wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Oury Jalloh ein Feuerzeug bei sich gehabt habe und damit die Matratze, auf der er lag, angezündet habe. Die Staatsanwaltschaft geht weiter davon aus, dass der Dienstgruppenleiter S. als der Rauchmelder und die Alarmanlage der Lüftungsanlage im Gewahrsamsraum auslöste, den Rauchmelder zweimal ausschaltete und damit wertvolle Zeit verlor, bevor er in den Keller ging, um nachzusehen, was dort los sei. Dieser Vorwurf basiert im Wesentlichen auf der Aussage einer Polizeibeamtin, die jedoch durch weitere Angaben bestätigt wird. Dem Polizeibeamten M. wird vorgeworfen, Oury Jalloh nicht gründlich genug durchsucht zu haben, bevor er ihn in die Zelle brachte.

Der Prozess

Seit März diesen Jahres läuft in Dessau vor der Schwurgerichtskammer das Strafverfahren gegen diese beiden Angeklagten. Dieses Verfahren, so wie es jetzt in Dessau läuft, wäre ohne die starke Öffentlichkeitsarbeit der Initiative zum Gedenken an Oury Jalloh sicherlich nicht zustande gekommen. Der Dienstgruppenleiter S. hat sich dahingehend eingelassen, dass es nicht stimme, dass er den Rauchmelder einfach nur ausgeschaltet habe. Er habe diesen zwar ausgeschaltet, aber dies sei sozusagen auf dem Weg nach unten gewesen. Einen Feuerlöscher habe er nicht mitgenommen, da er nicht auf die Idee gekommen sei, dass es dort brennen könne, weil da unten nichts sei, was brennen könnte.

Viele Überraschungen

Täglich erlebt man in diesem Verfahren neue Überraschungen. Zum einen hat sich gezeigt, dass die Brandschutzbestimmungen im Polizeirevier Dessau grob missachtet wurden. Im Keller des Polizeireviers befand sich zwar ein Feuerlöscher, jedoch gab es offenbar keinerlei Hinweisschilder auf den Standort und offenbar wusste auch keiner der Beamten bzw. Beamtinnen, wo sich dieser befand. Zwischenzeitlich ist bekannt, dass zwei Jahre vor dem Tod von Oury Jalloh schon einmal ein Mann im Polizeigewahrsam Dessau zu Tode gekommen ist. Der Mann war hilflos auf der Straße aufgefunden worden, so hilflos, dass er nicht in der Lage war, sich zu artikulieren. Dennoch wurde er von demselben Arzt als gewahrsamstauglich angesehen und starb in Zelle 5, nachdem sich stundenlang niemand um ihn gekümmert hatte. Der Mann hatte einen Schädelbruch mit Hirnquetschung, die zu einer epiduralen Hirnblutung führte, also einer Blutung zwischen Schädel und Hirnhaut, woran er letztlich starb. Beteiligt war auch der gleiche Dienstgruppenleiter.

Überraschend auch, dass schon wenige Tage nach dem Tod von Oury Jalloh seitens der Revierleitung »Hausmitteilungen« herausgegeben wurden, in denen detaillierteste Informationen zum angeblichen Ablauf – teilweise mit Minutenangaben – enthalten waren. Die Grundlage dieser Version bildeten die Angaben des Dienstgruppenleiters S., obwohl dieser von einer anderen Polizeibeamtin massiv belastet worden war, die eine andere Version der Geschehnisse geschildert hatte. Das interessierte offensichtlich die Revierleitung überhaupt nicht. Das heißt, dass auf der Grundlage der Angaben des Angeklagten S. sämtliche Beschäftigte des Polizeigewahrsams Dessau – die alle als Zeugen in Betracht kommen – massiv beeinflusst worden waren. Es wird im übrigen bei fast jeder Zeugenvernehmung deutlich, dass alle Beschäftigten des Polizeireviers Dessau versuchen, die Angeklagten zu entlasten. Auch wird deutlich, dass sämtliche Polizeizeugen von unterschiedlichen Personen, Polizeipfarrer etc. intensiv betreut werden.

Überraschend auch die zweite Vernehmung eines – sichtlich schwer traumatisierten – Polizeibeamten, der angab, dass er zusammen mit dem Dienstgruppenleiter in den Gewahrsam gekommen war, und dort versucht hatte, mit einer Decke die Flammen zu löschen, ohne dass ihm das gelungen war. Er sagte, das einzige, was er sich in dem Moment gewünscht hätte, wäre, dass er die Schlüssel zu den Hand- und Fußfesseln gehabt hätte, um Oury Jalloh loszuschließen. Aus dieser Aussage wird jedenfalls deutlich, dass es offensichtlich in dem Moment noch möglich war, die Zelle 5 zu betreten. Zuvor waren alle nach den Beurteilungen des Brandsachverständigen davon ausgegangen, dass ein Betreten der Zelle zu diesem Zeitpunkt wegen des starken Qualms schon nicht mehr möglich gewesen sei. Der erste Polizeibeamte, der die Mauer des Schweigens brach. Zuvor hatte dieser Beamte nur ausgesagt, an der Tür der Zelle 5 gestanden zu haben. Im Laufe des Verfahrens zeigte sich, dass mindestens ein hochrangiger Beamter des Polizeigewahrsams Dessau vor Gericht eine Falschaussage abgegeben haben musste. Dieser bestätigte, dass der Angeklagte S. auf dem Weg in den Polizeigewahrsam von der im EG befindlichen Hauswache mit ihm telefoniert habe und ihn gebeten habe, nach unten zu kommen.

Dieses Gespräch kann so von diesem Ort aus nicht stattgefunden haben, da mehrere Zeugen dies widerlegen. Man wundert sich, warum es dann vom Angeklagten S. angegeben wird und von seinem Vorgesetzten bestätigt wird. Ist auch dieser in das Geschehen verwickelt und sei es nur insoweit, dass auch ihm das Auslösen des Rauchmelders bekannt war und er nichts unternahm? Oder gibt es noch weitere Umstände, von denen wir bisher nicht wissen und die verheimlicht werden sollen? Viele Menschen haben sich erhofft und erhoffen sich noch immer, dass im Prozess deutlich wird, warum Oury Jalloh gestorben ist. Diese Hoffnung hat sich bisher nicht erfüllt. Zwar hat sich bei der zweiten durchgeführten Obduktion ergeben, dass Oury Jalloh einen Nasenbeinbruch hatte, als diese zweite Obduktion stattfand. Jedoch lassen sich daraus keine zwingenden Schlussfolgerungen auf Misshandlungen durch Polizeibeamte ziehen. Auch ist immer noch nicht nachvollziehbar, dass Oury Jalloh die Matratze, auf der er gefesselt lag, selbst angezündet haben soll. Trotz seiner nachgewiesenermaßen starken Alkoholisierung bzw. Intoxikierung ist dies nicht sehr plausibel. Es ist auch immer noch nicht nachvollziehbar, wie dieses Feuerzeug in die Zelle gekommen sein soll.

Mehr Informationen zum Tod von Oury Jalloh siehe auch AIB 66, 2005.