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Nicht verfolgt genug?

Einleitung

Zur Situation lesbischer Frauen im NS

Seit April 2012 hängt in der Gedenkstätte des ehemaligen KZ Ravensbrück eine Gedenktafel für die als homosexuell verfolgten inhaftierten Männer dieses Lagers. Eine für die lesbischen Gefangenen sollte folgen. Dies wurde jedoch Anfang des Jahres von der zuständigen Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten abgewiesen, mit der Begründung, dass Lesbisch-Sein, im Gegensatz zur männlichen Homosexua­lität, kein spezifischer Verfolgungsgrund im Nationalsozialismus war.1 Die Argumentation erinnert stark an die Auseinandersetzungen zur Gestaltung des Denkmals für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen in Berlin2 und verdeutlicht den Umgang mit der Problematik des Themenfeldes Lesbisches Leben im deutschen Faschismus.

Foto: Initiative Gedenkort ehemaliges KZ Uckermark e.V.

Die letzte Ausgabe des AIB beschäftigte sich mit Homophobie in der rechten Szene und im Nationalsozialismus und stellt fest: »Lesbische Frauen standen dagegen weniger stark im Fokus der Verfolgungsbehörden als schwule Männer. Da sie zudem im Konzentrationslagersystem meistens das schwarze Dreieck für ›Asoziale‹ erhielten, fiel ihre Präsenz dort im Vergleich zu den homosexuellen männlichen Gefangenen weniger auf – was ihre Nichtbeachtung in der historischen Forschung nach sich zog.«

Tatsächlich behandelte der §175 StGB, der die Kriminalisierung und Ver­folgung »widernatürlicher« sexueller Handlungen regelte, nur Männer als potentielle Straftätige für dieses Vergehen. Daraus aber eine Nicht-Verfolgung von Lesben in Nazi-Deutschland zu schlussfolgern, wie es teilwei­se in der öffentlichen Debatte geschieht, ist ein kurzsichtiger Fehl­schluss. Hier werden die sexistischen Denkmuster reproduziert, aus denen die unterschiedliche Verfolgungsrealität von männlichen und weiblichen Homosexuellen resultierte.

Versuche der expliziten Kriminalisierung

Tatsächlich gab es durchaus Verhandlungen darüber, §175 StGB auch auf lesbische Handlungen auszudehnen. Der Jurist Rudolf Klare und der NS-Philosoph und Pädagoge Ernst Bergmann plädierten z.B. stark dafür und argumentierten, dass von veranlagt »tribadischen«1 Frauen eine Verführungsgefahr für heterosexuelle potentielle Mütter und Ehefrauen ausgehe. Sie sprachen sich daher z.T. gar für eine »kurierende Zwangsbegattung« von »Mannsweibern« aus, müsste nicht »leider« befürchtet werden, dass aus diesen Vergewaltigungen »entartete« (weil homosexuell veranlagte) Nachkommen entstehen könnten.2

In diesen Argumentationen finden sich bis heute vorhandene allgemein homo-, sowie speziell lesbophobe Elemente, die einem biologistisch nationalsozialistischen Menschenbild entsprechen: die Vorstellung einer angeborenen und weitervererbbaren »Ent­artung«, die Angst vor der Verführung wertvoller Humankapitalsträger_innen; aber auch die Aberkennung der Weiblichkeit lesbischer Frauen und die Vorstellung der »kurierenden Vergewaltigung«.

Letztendlich fiel die Entscheidung des Reichsjustizministeriums 1935 aber so aus, dass Frauen vom §175 StGB ausgenommen waren. Entscheidend war die Einschätzung, dass die Zeugungsbereitschaft der Frauen durch homosexuelle Handlungen bedeutend weniger gefährdet sei, als die Zeugungskraft des Mannes. Homosexuelle Frauen seien, anders als Männer, »trotzdem fortpflanzungsfähig« und »stets geschlechtsbereit«. Dahinter steckt ein althergebrachtes Bild vom Mann als aktivem Part der Zeugung, welcher auf keinen Fall seine wertvolle Zeugungskraft fehlgeleitet verschwenden sollte, während der weibliche Körper ein immer verfügbares passives  Mittel zur Nachkommensproduktion sei, wofür allerdings das Wohlgefallen an der Aktion nicht vonnöten sei.3

Eine weitere Begründung für die Ablehnung der Ausdehnung des §175 StGB auf lesbische Liebe war die Befürchtung, dass es zu einer Welle von Fehldenunziationen kommen würde, da Frauen generell eine zärtlichere Umgangsweise untereinander pflegten und darin auch eine »Neigung zu Überschwänglichkeit« hätten.4

Allerdings zeigt diese ausführliche Debatte, dass es keine Akzeptanz oder Toleranz gegenüber lesbischen Lebens und Liebens war, die eine explizite Kriminalisierung ausbleiben lies. Vielmehr war es ein Übergewicht an patriarchalem Sexismus, der sich die Anerkennung einer weiblichen Sexualität und Lebensweise als politisch relevant nicht abringen konnte. Anders sah es z.B. im annektierten Österreich aus, dort galt der §129 für Männer und Frauen, auch wenn statistisch weit weniger Frauen dafür sanktioniert wurden, was wieder mit der allgemeinen Unsichtbarkeit weiblicher Sexualität erklärbar ist.

Verschleierte Verfolgung

Schließlich heißt die Nicht-Ausdehnung des deutschen §175 auf Frauen nicht, dass lesbisches Leben im Nationalsozialismus unverfolgt und sicher möglich gewesen wäre. Zwar gab es keinen rosa Winkel für lesbische Frauen, doch konnte wie oben erwähnt das dehnbare Stigma der »Asozialität« leicht über sie verhängt werden und ebenso zur Einweisung ins Konzentrationslager führen. Ein Großteil der Insass_innen des Jugend-KZ für Mädchen und junge Frauen in der Uckermark5 z.B. wurde genau aus diesem Grunde oder aus dem verwandten Grund der »sexuellen Verwahrlosung« interniert. Es ist im Nachhinein schwer nachzuvollziehen, wie oft hierunter lesbische Handlungen fielen, doch ist durch Aussagen von Überlebenden belegt, dass dies vorkam und es gibt einzelne Häftlingsunterlagen aus Ravensbrück, in denen »Lesbisch« als Haftgrund angeführt wird.6

Ferner mussten lesbische Frauen ebenso die Zerstörung homosexueller, also auch lesbischer, Infrastruktur erleiden. Die Zerstörung  von Hirschfelds Institut für Sexualwissenschaft traf nicht nur Schwule, sondern auch Lesben und Trans*menschen, der Bücherverbrennung fielen ebenso Werke explizit lesbischer Frauen, wie Johanna Elberskirchen zum Opfer. Lesbische Medien, wie die Zeitschrift »Die Freundin« wurden verboten, Loka­le überwacht und geschlossen, was zur einer Quasi-Verunmöglichung lesbischen Lebens außerhalb von schon bestehenden Freundinnenkreisen führ­te, da es keine Möglichkeiten öffentlicher Kontaktaufnahme und Treffpunkte mehr gab.7 Die nationalsozialistischen Familienideale und damit verbundene Politik machten es zudem Frauen schwer ohne einen Ehemann zu leben, was viele in Scheinehen trieb.

Kein Verfolgungs-Wettrechnen

So ist bei den Debatten um das Gedenken an homosexuelle Opfer der Nationalsozialisten die These der Nicht-Verfolgung von Lesben zurückzuweisen, ohne die geschlechtsspezifische Auswirkung der Homophobie im NS zu verleugnen. »Der Begriff der Verfolgung darf nicht an der Quantität oder der Qualität der Verfolgungshandlung festgemacht werden […]. Sonst müssen wir beginnen die Toten, Inhaftierten, Geschlagenen oder in den Suizid Getriebenen gegenseitig aufzurechnen.«8 Das kann nicht Ziel emanzipativer  Faschismusanalyse und Gedenkarbeit sein. Vielmehr gilt es Kon­tinuitäten homophober Politik und Denkmuster in verschiedenen politischen Parteien und gesellschaftlichen Debatten zu suchen und aufzuzeigen und dabei ganz besonders auf die unreflektierte Ignoranz gegenüber lesbischen Lebensrealitäten gestern wie heute zu achten.9

  • 1Begriff für weibliche Homosexualität, aus dem griechischen Begriff für Reibung, bezieht sich auf nicht-penetrative Sexualpraktiken
  • 2Schoppmann, Claudia, S.37. In: Grau, G.: »Homosexualität in der NS-Zeit. Dokumente einer Diskriminierung und Verfolgung«
  • 3Zitat aus Verhandlungen von 1937: »...ein Mann der dauerhaft homosexuell tätig ist, verliert allmählich überhaupt die innere Fähigkeit, mit einer Frau zu verkehren. Dasselbe kann man aber von der Frau nicht behaupten. Praktisch ist es ohne Bedeutung, ob die Frau frigide ge­blieben ist oder für sie der Geschlechtsverkehr ein Erlebnis ist.« siehe Schoppmann, S.104
  • 4Dr. Schäfer, zitiert nach Schoppmann, S. 102
  • 5http://gedenkort-kz-uckermark.de
  • 6Schoppmann, S.40
  • 7vgl. Ansprache von Prof. Dr. Corinna Tomberger bei einer Gedenkveranstaltung am Mahnmal für die verfolgten Homosexuellen; www.spinnboden.de/gedenken-erinnern/lesbische-frauen-im-ns.html
  • 8Historiker Jens Dobler, zitiert nach Tomberger, ebd.
  • 9So sei hier nur als kurzes Anschauungsbeispiel auf das Zitat der »Pro Deutschland«-Jugend verwiesen: »Wir, als Patrioten wollen ein gesundes Miteinander zwischen Männern und Frauen, egal ob diese heterosexuell oder schwul veranlagt sind; (…)« (siehe AIB Nr. 100), in dem deutlich wird, dass in der Kontrastierung von heterosexuell vs. schwul weibliche Homosexuali­tät scheinbar nicht einmal mitgedacht wird.