Skip to main content

Oury Jalloh: Unter den Tod im Polizeigewahrsam soll ein Schlussstrich gezogen werden

Christian Jakob
Einleitung

Es gäbe vieles, sehr vieles, was sich einem Dokument voranstellen ließe, in dem es um den qualvollen Tod eines Menschen in den Händen der Polizei geht. Die beiden Juristen Jerzy Montag und Manfred Nötzel, die im Auftrag des Landtags von Sachsen-Anhalt die Ermittlungen zum Tod des Sierra Leoners Oury Jalloh untersuchten, entschieden sich, in ihrer „Vorbemerkung“ folgendes zu schreiben: „Er war kein besonders gesetzestreuer Mensch und hatte bereits mehrfach gegen Strafgesetze verstoßen. Er konsumierte und handelte mit illegalen Drogen und war bereits mehrfach im polizeilichen Gewahrsam und in Untersuchungshaft eingesessen. Immer wieder, auch an seinem Todestag, war Ouri Jallow [sic] erheblich alkoholisiert.
Es erscheint den beiden Juristen also am allerwichtigsten, daran zu erinnern, dass Jalloh, der am 7. Januar 2005 an Händen und Füßen gefesselt in einer Zelle des Dessauer Polizeireviers verbrannte, ein Gesetzesbrecher war.

Foto: strassenstriche.net; CC BY-NC 2.0

Acht Monate hatten Montag, lange Bundestagsabgeordneter der Grünen und Nötzel, einst Generalstaatsanwalt von München, sich mit dem Fall befasst. Ihren 303 Seiten dicker Bericht trägt zur Aufklärung nichts bei. Die Vielzahl von Indizien, die auf Mord hindeuten, widerlegen Montag und Nötzel selbst nicht, meist bewerten sie sie nicht einmal. Vieles sei zu lange her, heute nicht mehr zu klären, nicht eindeutig bewiesen, könne von den Ermittlungsbehörden so oder so ausgelegt werden. Polizei und Landesregierung werden zwar heftig kritisiert, die Justiz aber entlastet.

Diese war in dem Fall lange von einem Suizid ausgegangen. 2017 nahm die Staatsanwaltschaft Dessau jedoch Mord­ermittlungen auf, nachdem eine Sachverständige Hinweise darauf gefunden hatten, dass Jalloh in dem Polizeirevier angezündet worden sein muss. DIE LINKE im Landtag von Sachsen-Anhalt hatte daraufhin einen förmlichen, öffentlich tagenden Untersuchungsausschuss in dem Fall beantragt – und zwar während das Mord­ermittlungsverfahren noch lief. Doch das hatte die regierende Kenia-Koalition abgelehnt und stattdessen Montag und Nötzel als juristische „Berater“ eingesetzt.

Das gesamte Handeln der Polizei am 7. Januar 2005 sei fehlerbehaftet und rechtswidrig gewesen“, sagt Montag nun. „Wären diese Fehler unterblieben, dann wäre Oury Jalloh mit allergrößter Wahrscheinlichkeit noch am Leben.

Die beiden listen die Rechtsverstöße detailliert auf: Einer der Dessauer Polizisten hätte schon am Tag des Todes „völlig unglaubhafte“ Angaben zu angeblichen Problemen bei der Personalienfeststellung Jallohs gemacht, heißt es in ihrem Bericht. Die Beamten hätten „Zwangsmaßnahmen“ – sprich: körperliche Gewalt – gegen Jalloh eingesetzt, ohne ihm dies vorher anzudrohen. Sie haben ihm Blut abnehmen lassen, ohne dass ein Richter dies entschieden hätte. Sie haben ihn ohne richterliche Entscheidung in Gewahrsam genommen. Sie haben ihn auf dem Rücken auf einer Liege fixiert. Und sie haben Jalloh nicht „fortdauernd beobachtet“. Alles rechtswidrig. Wolle man nicht davon ausgehen, dass die Unklarheiten bei den Personalien nur vorgeschoben seien, um Jalloh „widerrechtlich in Gewahrsam zu halten, sind jedenfalls erhebliche Fehler in der Dienstausübung (...) als ursächlich für die Freiheitsentziehung erkennbar“ schreiben sie. Weit weniger Klarheit bietet ihr Bericht was die juristische Aufarbeitung des Todes angeht.

Eines der großen Rätsel dabei ist das Feuerzeug, dass Jalloh laut der Justiz benutzt haben soll, um sich selber anzuzünden. Es wurde erst mehrere Tage nach dem Brand in der Zelle gefunden. An seinen verschmorten Resten wurden nur „tatortfremde Fasern“ gefunden, sowie nur DNA-Spuren, die nicht von Jalloh stammen. Die Staatsanwaltschaft hatte unter anderem behauptet, dass die Fasern und DNA-Spuren auch etwa von Gutachtern oder Polizisten stammen könnten, die die Feuerzeugreste später in den Händen hielten. Überprüft wurde das nie. Nötzel und Montag halten diese Bewertung durch die Staatsanwälte dennoch für „zumindest vertretbar“, schreiben sie nun.

Am 4. April 2017, nach 12 Jahren, schreibt der Dessauer Oberstaatsanwalt Folker Bittmann in einem Vermerk, Jalloh sei wohl vor Ausbruch des Feuers schon tot gewesen, vermutlich sei er angezündet worden. Dies legten mehrere Gutachter nahe, die Bittmann konsultiert hatte. Das Motiv könnte nach Auffassung Bittmanns gewesen sein, dass dem Asylbewerber zuvor zugefügte Verletzungen vertuscht werden sollten. Bittmann benennt zwei konkrete Verdächtige aus den Reihen der Dessauer Polizei.

Kurz darauf wird ihm der Fall entzogen und an die Staatsanwaltschaft Halle abgegeben. Montag und Nötzel schreiben, dies werde „bis heute als Eingriff dargestellt, der eine verfolgungseifrige Staatsanwaltschaft (Dessau-Roßlau) und deren Leiter ausgebootet habe und an eine andere Staatsanwaltschaft (Halle) übertragen worden sei, die das Ermittlungsverfahren ohne weiteres umstandslos eingestellt habe. Dahinter könne nur die Absicht stehen, das Verfahren unter allen Umständen zu beenden und so sei es ja dann auch gekommen.“ Doch diese Lesart sei „sachlich und rechtlich unzutreffend.

Zum einen habe Bittmann selber in Halle um Unterstützung gebeten. Zum anderen sei es richtig, die Ermittlungen nicht in Dessau laufen zu lassen, wo die Staatsanwaltschaft gegen die Polizei der eigenen Stadt hätte ermitteln müssen. „Mindestens vertretbar“, urteilen Nötzel und Montag.

In Halle aber wurde die Akte schon bald zugeklappt. Bittmann habe die Ergebnisse der Gutachter eben anders interpretiert als sie, sagte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft Halle damals. Auch daran haben Nötzel und Montag nichts auszusetzen. Der zuständige Hallenser Staatsanwalt Weber habe „nachvollziehbar und völlig richtig die Lage bewertet.“

Vor allem während des ersten Gerichtsverfahrens in Dessau ab 2007 hatten Polizisten offensichtlich gelogen, darauf hatte vor allem der damalige Richter Manfred Steinhoff hingewiesen. Die Polizisten später, im Lichte der neuen Gutachten, erneut zu der Sache vernehmen, halten Montag und Nötzel für sinnlos: „Es gibt keinerlei Anhaltspunkte, die den Schluss zulassen, dass neuerliche Vernehmungen zu neuen Erkenntnissen führen würden.“

Lange stand die Frage im Raum, warum Polizisten überhaupt einen Brand in der Zelle hätten legen sollen. 2018 legte die Initiative Gedenken an Oury Jalloh ein medizinisches Gutachten vor, dass belegte, dass Jalloh kurz vor seinem Tod schwer am Schädel verletzt wurde. „Diese Verletzungen könnten theoretisch ein Motiv gewesen sein, ihn nachträglich zu ermorden“, schreiben dazu Montag und Nötzel. Doch es gebe „heute keine Möglichkeiten, diese Verletzungen einzelnen Polizeibeamten zuzuordnen und damit auch nicht, einzelnen Beamten gegenüber den Vorwurf eines Verdeckungsmordes zu erheben.“ So einfach ist das.

Insgesamt sehen die beiden „keine offenen Ermittlungsansätze“. Soweit Ermittlungen „nicht oder nicht sorgfältig genug durchgeführt wurden, lassen sich die Versäumnisse heute nicht mehr nachholen.“ Ein neues Mordverfahren sei praktisch „nur noch im Falle eines glaubwürdigen Geständnisses oder einer neuen glaubwürdigen Aussage eines Zeugen“ möglich.

Montag und Nötzel „übernehmen die Täterversionen und vernachlässigen den Korpsgeist“ in der Polizei, schreibt die Initiative Gedenken an Oury Jalloh. „Entgegen der vorliegenden Beweislage wollen auch sie keine weiteren Ermittlungsansätze erkennen können.“ Klar erkennbare Wider­sprüche blieben unberücksichtigt – etwa das Gutachten zu den Schädelverletzungen. Jalloh habe kein Feuerzeug gehabt und könne das Feuer nicht selbst gelegt haben, die Rekonstruktion des Brandbildes sei erwiesenermaßen nicht ohne die Verwendung von Brandbeschleunigern zu erreichen.

Ist der Bericht der beiden der Schlussstrich unter der Aufarbeitung des Falls? Keineswegs. Seit im Juli 2020 das Justizministerium in Magdeburg die unbeaufsichtigte, vertrauliche Befragung der StaatsanwältInnen durch Montag und Nötzel als „verfassungswidrig“ ablehnte, will auch die SPD einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss, den die Linke seit 2018 fordert, mittragen. Für diese Legislaturperiode ist es dafür zu spät. Der Ausschuss dürfte etwa im Herbst 2021 seine Arbeit aufnehmen.

Möglicherweise wird die Arbeit des Ausschusses doch noch ein Gerichtsverfahren flankieren. Denn Mamadou Saliou Diallo, der Bruder des Toten, hat einen Antrag auf Klageerzwingung eingereicht. Dieser wurde zwar im Oktober 2019 vom OLG Naumburg als unzulässig und unbegründet zurückgewiesen. Diallo hat dagegen aber Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erhoben, über die noch nicht entschieden ist.