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Die „Nationalrevolutionäre Jugend“ in Berlin

Initiative „ausdemweg.net“ (Gastbeitrag)
Einleitung

Keine andere Neonazi-Jugendorganisation hat Antifaschist_innen in Berlin in den letzten Jahren so beschäftigt wie die „Nationalrevolutionäre Jugend (NRJ)“. Die Parteijugend von „Der III. Weg“ hat vor allem mit ihren Übergriffen für Schlagzeilen gesorgt. Neben der Gewalt haben die jungen Neonazis ihre Struktur ausgebaut und sich mit „Theorie“, Wissen und Fertigkeiten für kommende Aktionen ausgestattet.

NRJ Berlin

NRJ Digital-Content-Creator bei der Arbeit. Ende 2024 wurde im Berliner Waldgebiet Wuhlheide auf eine Folie zwischen zwei Bäume das Wort „Weiblichkeit“ gesprüht.

Die NRJ hat im Jahr 2023 ein Art „Pfadfinderhandbuch“ herausgebracht. Das Titelbild des Buches zeigt das original-faschistische italienische Squadre „La Disperata“ (Florenz, 1921), ein Stoßtrupp der „Arditi“ (Waghalsigen). Das Logo der NRJ ist dem Abzeichen der „Arditi“, einem Schwert in einem Lorbeer- bzw. Eichenkranz nachempfunden. Der Buchtitel sei laut NRJ „weltanschauliches Bekenntnis und Kampfansage zugleich“. Was für das "Fähnlein Fieselschweif" das „Schlaue Buch“ ist, ist für die NRJ nun das „Handbuch der revolutionären Jugend“. Wir erfahren: „Jugend ist Dynamik, Jugend ist Innovation, Jugend ist Wagemut, Jugend ist Idealismus, und vor allem ist die Jugend sprichwörtlich am Puls der Zeit (…) Sie hat für die ständige Erneuerung der Bewegung zu sorgen, Garant dafür zu sein, dass die Bewegung sich nicht in einmal eingeschlagenen Wegen und Aktionsformen festfährt, sondern sich stets wieder den neuen Entwicklungen anpasst“.1

Hier beschreibt „Der III. Weg“ die Veränderungen welche die Etablierung einer parteieigenen Nachwuchsorganisation bringen sollen. Als die wichtigsten Kader der Partei treten in Berlin der Stützpunktleiter Oliver Oe. und der NRJ-Anführer Erik S. auf. Die Mitgliederanzahl des "Der III. Weg“ ist nicht bekannt. Die Zahl der aktiven Mitglieder liegt bei etwa 30 Personen.

Die geschaffenen NRJ-Strukturen haben die kaum noch wahrnehmbare, überalterte Neonazi-Szene Berlins deutlich erneuert. Vergleichen lässt sich der Effekt der Gruppe mit der 20 Jahre zuvor aufgetauchten „Kameradschaft Tor“ (KS Tor). Diese schaffte damals den Umbruch von einer in der Skinhead Bewegung verankerten Szene hin zu einer moderneren Neonazigeneration. 

Vor dem Aufbau der NRJ war der Berliner Ableger von „Der III. Weg“ eine kleine Gruppe von erfahrenen Neonazis. Die Struktur zeigte sich mit Infoständen und kleineren Aktionen, war aber außer Stadtrand-Antifas nur wenigen bekannt. Der Aufstieg der letzten Jahre hängt mit dem Aufbau ihrer Jugendstruktur zusammen. Mit der NRJ war die überalterte Partei „am Puls der Zeit“, gleichzeitig profitierte der Nachwuchs von den erfahrenen Parteikadern und ihrer jahrelangen bundesweiten Aufbauarbeit. Hier lässt sich ermöglichen, was Jugendliche an Erfahrungen sammeln wollen. Durch die verschiedenen Stützpunkte ist ein bundesweiter Austausch mit Gleichgesinnten möglich, internationale Kontakte sorgen für Highlights in ganz Europa. Bei Wanderungen und Märschen kann Gemeinschaft erlebt werden. Die theoretischen Schriften sollen jungen Menschen Erklärungen für ihre Probleme an die Hand geben und ein übergeordnetes Ziel vermitteln, für welches sich das Kämpfen und Leben lohne.

Straßengewalt

„Wir sagen ganz offen, dass wir gewaltbereit sind. Das heißt nicht, dass wir hirnlose Schläger sind (…) Aber wir sind nun mal dazu bereit, gewalttätig zu werden (...).“2 Was hier vermittelt wird, entlädt sich in Neonazigruppen als Gewalt gegen den politischen Gegner. Damit die NRJ ihre Gewalt erfolgreich einsetzen kann, gehört Kampfsport zu den Schwerpunkten dieser Jugendstruktur. Dadurch können sich die Mitglieder der NRJ als Teil eines starken Zusammenhangs fühlen, der politische Gegner einschüchtern soll und attraktiv auf andere gewaltbereite Jugendliche wirkt. 

Das gewachsene Selbstvertrauen der NRJ bezeugte eine Vielzahl von Übergriffen in den letzten Jahren mit einem vorläufigen Höhepunkt im Sommer 2024. Bevor am selben Tag eine antifaschistische Demonstration gegen „Der III. Weg“ in Berlin-Hellersdorf stattfand, griffen bewaffnete Neonazis den Vortreffpunkt am Bahnhof Ostkreuz an. Am Rand von Berlin-Friedrichshain gelegen, sollte die Blitzaktion offenbar beweisen, dass die sie den Respekt ihrer Vorgängergeneration vor dem antifaschistische Kiez nicht mehr teilen. 

Der Fokus auf Sport erklärt sich nicht nur durch das Erlangen von Gewaltkompetenz. Sport und Gemeinschaft werden von „Der III. Weg“ ideologisch aufgeladen und mystisch überhöht. Hier kämpfe die Jugend im "liberalen Kapitalismus" mit Perspektivlosigkeit, Drogenmissbrauch, Individualismus, Fettleibigkeit und Einsamkeit. Der Staat bzw. das System versage bei der Schaffung der Voraussetzungen für das weitere gute Leben der Jugendlichen. Der Schritt sei die Rückkehr zu alten Werten der „Volksgesundheit“. Das beinhalte das Leben in einer starken Gemeinschaft im Schoß der Familie, Disziplin und Sport, sowie einem unerbittlichen Kampf gegen das "politische System". 

Vor einigen Jahren war die NRJ noch die einzige wahrnehmbare neonazistische Jugendgruppe in Berlin. Mittlerweile haben sich mehrere Gruppen und Netzwerke gebildet, die Anlaufstellen für junge Neonazis sind. Die NRJ kann wegen ihres langen Bestehens und ihrer stabilen Struktur als Vorreiterin angesehen werden. Ein verbindendes Feindbild stellt für die verschiedenen jungen Neonazis neben Migrant_innen die Queere Community dar. Im letzten Sommer wurden viele Menschen aus der bürgerlichen Mitte von „Kindernazis“ überrascht, die Protestmärsche gegen die örtlichen CSDs organisierten. Die NRJ ist hingegegen schon lange bekannt für ihre queerfeindlichen Aktionen. Bereits im Jahr 2023 versuchte die NRJ Teilnehmer*innen des CSD in Berlin einzuschüchtern. Wenig überraschend hat die Partei eine breite Auswahl an Material, das sich gegen queere Lebensentwürfe richtet und ihr völkisches Familienbild propagiert. Mit dem Thema möchte die NRJ auch ihren geringen Frauenanteil aufbessern. Unter dem Motto „Weiblichkeit statt Feminismus“ werden junge Frauen angesprochen, die sich in den völkischen Familienvorstellungen der Partei wieder erkennen. Die Rekrutierung von jungen Frauen ist insofern folgerichtig, denn ohne sie ist der drohende "Volkstod" schließlich kaum aufzuhalten.

Revolution oder Rausch?

Zwar dürfte die NRJ und deren wachsende Struktur für viele Neonazis in der Hauptstadtregion als Vorbild gelten, doch die Spannungen unter den jungen Neonazis nehmen zu. Während zum CSD in Zwickau noch die verschiedenen Jugendgruppen auf der gleichen Demonstration anwesend waren, zeigte die NRJ durch ihre Abwesenheit bei folgenden Demonstrationen, dass sie sich nicht mehr mit den anderen Neonazis blicken lassen will. Der Alkoholkonsum auf den Demonstrationen und das wenig vorzeigbare Auftreten sind dafür sicherlich ein Grund. Während „Der III. Weg“ in Berlin einen „Straight Edge“ Lebensstil propagiert, völkische Familienwerte hochhält und militärische Disziplin vermittelt, machten die jungen Neonazis in Marzahn auf ihrer Demonstrations-Route einen Zwischenstopp beim Supermarkt um Alkoholnachschub zu besorgen. 

Der Konflikt der geschulten völkischen Neonazis mit anderen Jungnazis, für die Alkohol und Prügeln im Vordergrund steht, ist nicht das einzige Problem der NRJ. Auch die Berliner Ermittlungsbehörden und die Hauptstadtmedien haben die NRJ nun mehr in den Blick nehmen müssen. Routiniert siegesgewiss zeigen sich „Der III. Weg“ und NRJ nach Repressionsschlägen in ihren sozialen Netzwerken, allerdings dürften etwa Ausreiseverbote zum „Tag der Ehre“ in Budapest oder Hausdurchsuchungen im letzten Jahr nicht spurlos vorbeigegangen sein. Ein Grund für die Polizeimaßnahmen dürfte – wie bei den Vorgängern von „KS Tor“ und „NW Berlin“ – auch die beharrliche antifaschistische Recherche und zunehmende Berichterstattung über deren Treiben sein. Durch eine langanhaltende Berichterstattung und antifaschistische Aktionen hat „Der III. Weg“ eine langjährige Trainingsstätte in Berlin-Weißensee verloren. Zwar können die Neonazis noch in herkömmlichen Gyms trainieren, vor Outings und antifaschistischer Gegenwehr sind sie dort aber nicht sicher. Die NRJ hat in den letzten Jahren versucht Druck auf linke Strukturen in Berlin auszuüben. Mittlerweile müssen sie selber vermehrt mit Gegenwehr rechnen. Wenn es gelingt den Druck auf die Neonazis zu erhöhen, könnten wir deren Strukturwachstum Einhalt gebieten. Es bleibt viel zu tun.

  • 1

    „Die Aufgaben der Jugend in der Bewegung“ aus dem Buch „Nouvi Arditi“.

  • 2

    Kapitel „Militanz“ in „Nouvi Arditi“.