Budapest-Komplex: Einige Worte zu Lucas Haftsituation
Unterstützer*innen von Luca (Bielefeld)Luca ist eine Antifaschistin aus Jena, die beschuldigt wird, bei den Angriffen auf Neonazis rund um den NS-verherrlichenden „Tag der Ehre“ in Budapest 2023 beteiligt gewesen zu sein. Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof wirft ihr vor: Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung und in einem Fall Beihilfe zu gefährlicher Körperverletzung.1 Sie gehört zu den sieben Antifaschist*innen, die sich am 20. Januar 2025 gestellt haben. Luca wurde noch am selben Tag dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs (BGH) vorgeführt und in der JVA Bielefeld-Brackwede inhaftiert. Dort wird sie nun seit über vier Monaten gefangen gehalten.
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PM der GBA: "Festnahme von sechs mutmaßlichen Mitgliedern einer linksextremistischen Vereinigung" vom 21.01.2025.
"Sehen wir uns nicht in dieser Welt, dann sehn wir uns in Bielefeld"1
Der Knast liegt mit dem Auto etwa 20 Minuten vom Bielefelder Stadtzentrum entfernt im Vorort Ummeln. Die Gegend ist geprägt von Feldern, einzelnen Wohnhäusern und kleinen Höfen. Schließlich stört der alte, massive Bau der Justizvollzugsanstalt (JVA) das ländliche Bild. Mauern mit Wachtposten an den Ecken, dahinter eine dicke Fassade aus Waschbeton mit schmalen, engen Fenstern. Die JVA ist von den Wohnorten ihrer Familie und Freund*innen in Jena und Leipzig vier bzw. fünf Autostunden entfernt. Das bedeutet einen erheblichen logistischen, finanziellen und zeitlichen Aufwand für die Familie und Freund:innen, Luca zu besuchen. Ein Verlegungsantrag nach Berlin wurde abgelehnt, sodass dieses Erschwernis bis zur Verlegung für den Gerichtsprozess anhalten wird.
Lucas Haftbedingungen entsprechen denen ihrer Mitgefangenen in der JVA Bielefeld-Brackwede. Sie unterscheiden sich aber negativ von einigen der anderen Inhaftierten aus dem Verfahren in Deutschland. Die Besuche werden von den Behörden erschwert. Laut Gesetz stehen Untersuchungshäftlingen in NRW mindestens 120 Minuten Besuch im Monat zu, wobei es der Anstalt frei steht, mehr Besuch zu ermöglichen. Die JVA Bielefeld-Brackwede gewährt Untersuchungshäftlingen jedoch nur diese 120 Minuten, und zwar drei Mal je 40 Minuten im Monat. In anderen Haftanstalten, in denen unsere Mitstreiter*innen gefangenen gehalten werden, sind es bis zu sechs Stunden im Monat. Die JVA hat für die Beantragung von Besuchen komplizierte interne Prozesse, die auch Sitzungen von Kommissionen und zusätzliche interne Anträge durch die Gefangenen umfassen, was in anderen Haftanstalten nicht der Fall ist. Diese Vielzahl bürokratischer Hürden führten dazu, dass Besuche nicht zeitnah geplant werden können. Mehrmals sagten die Behörden Besuche ab, wobei entweder JVA oder Polizei, die zur Besuchsüberwachung anwesend sein müssen, begrenzte Kapazitäten vorschoben. Besuchstermine wurden ohne Alternativen anzubieten, verweigert. Mindestens zwei Mal verspätete sich die Polizei um mindestens eine Stunde, sodass der Besuch mit erheblicher Verzögerung stattfand. Wie auch bei anderen Mitbeschuldigten hat der Bundesgerichtshof (BGH) die Besuchsanträge von zwei engen Freund*innen mit teilweise abenteuerlichen Begründungen abgelehnt und verbietet Luca so den direkten Kontakt zu ihnen.
Auch verabredete Telefonate konnten nicht stattfinden und werden stattdessen um die Hälfte reduziert. Lucas Post wird wie die der anderen Untersuchungsgefangenen von der JVA und dem BGH gelesen, kontrolliert und zensiert. Im Unterschied zu vielen anderen Gefangenen werden fast alle Beilagen und Ausdrucke von oder zu Luca nicht durchgelassen.
In der JVA Bielefeld-Brackwede haben die Gefangenen nur einmal die Woche für zwei Stunden Aufschluss. Aufschluss bedeutet, dass für einen bestimmten Zeitraum die Zellentüren geöffnet werden, sodass die Gefangenen sich auf der Station frei bewegen, sich gegenseitig besuchen oder auch duschen gehen und kochen können. Vergleicht man dies mit anderen JVAs, wo die Gefangenen täglich und mehrere Stunden lang Aufschluss bekommen, sind einmal die Woche zwei Stunden sehr wenig.
Trotz aller Widrigkeiten hat Luca sich gut eingelebt. Sie hat zwar keine Möglichkeit, eine Ausbildung zu beginnen, arbeitet aber inzwischen in einem anstaltseigenen Betrieb. Sie hat Beziehungen zu ihren Mitgefangenen aufgebaut und bemüht sich um ein solidarisches Miteinander. Sie erhält viel Post und beantwortet diese. Für den Tag der politischen Gefangenen und andere Anlässe hat sie uns auch Grußworte nach draußen geschickt.
In ihren Briefen beschreibt sie auch die Haft- und Lebensbedingungen der Mitgefangenen. Dass die Ärmsten der Armen und die Ausgegrenzten in den Knästen festgehalten werden, ohne dass sie dort eine Perspektive auf ein besseres Leben erhalten würden, habe sie bereits gewusst. Es sei jedoch sehr eindrücklich gewesen, dies nun selbst zu erleben und mit eigenen Augen zu sehen.
Wie für die anderen Gefangenen spielt auch für Luca die Auseinandersetzung mit der Institution Knast eine große Rolle. In den Erfahrungen schlagen sich die Bedingungen aller in Bielefeld-Brackwede Inhaftierten nieder. Daher betont sie immer wieder eine sehr grundsätzliche Kritik am Knast, der auch wir als Unterstützer*innen uns anschließen möchten. Mit den Berichten über ihren Alltag tragen unsere Gefangenen allerdings einen großen Teil dazu bei, die Zu- und Missstände in den einzelnen Haftanstalten aufzudecken.
Weder ist Luca zuvor jemals in Bielefeld gewesen, noch gab es in der Stadt Solidaritätsstrukturen zum „Budapest Komplex“. Es gab natürlich Wissen um den Fall und Solidarität der lokalen antifaschistischen Bewegung mit den Verfolgten, aber konkret gearbeitet wurde dazu bis zu diesem Zeitpunkt nicht. Unter Linken erreichte die JVA Bekanntheit, weil hier die Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck von 2018 bis 2020 inhaftiert war. Es gab deshalb in diesem Zeitraum einige wenige Neonazikundgebungen vor dem Knast. Seit dem 22. Januar 2025 zeigt sich jedoch, dass die Solidarität unter Antifaschist*innen deutlich höher ist.
Solidarität organisiert sich
Zahlreiche Bielefelder Antifaschist*innen machten sich also daran, das abstrakte Versprechen der Solidarität zu erfüllen. Am Tag nach ihrer Verlegung nach Bielefeld wurde Luca mit nächtlichem Feuerwerk begrüßt. Zwei Tage später fand die erste Kundgebung am Knast statt. Über 50 Antifaschist*innen schickten solidarische Grüße hinter die Mauern. In den folgenden Tagen kam es mehrfach zu Feuerwerk am Knast. Sticker und Graffitis mit Bezug auf Lucas Inhaftierung tauchten in der Stadt so massiv auf, dass auch die Lokalpresse (in einem leider unterirdischen Artikel) darüber berichtete. Bei diversen Veranstaltungen von Vorträgen bis hin zu Demonstrationen wird die Inhaftierung Lucas und der gesamte „Budapest Komplex“ seitdem immer wieder thematisiert. Da nach wie vor unklar ist, wie lange Luca in Bielefeld sitzen wird, haben sich die lokalen Solidaritätsstrukturen so aufgestellt, dass auch eine Unterstützung über mehrere Monate oder Jahre gewährleistet werden kann.
Es wird beispielsweise weiter monatliche Knastkundgebungen geben und regelmäßig an Luca geschrieben. Es geht dabei aber nicht nur um die Unterstützung Lucas, sondern auch ihres Umfelds. Auch um Freund*innen und Angehörige direkt zu entlasten,
was beispielsweise die langen, teuren Anreisen anbelangt, sind die lokalen Solidaritätsstrukturen ansprechbar. Sie zeigen, dass es vor Ort Menschen gibt, die für Luca da sind. Und dass man sich aufeinander verlassen kann. Das gilt außerdem für die Zusammenarbeit mit den anderen Haftunterstützungsgruppen, den Eltern der Gefangenen oder den Solidaritätsstrukturen.
All die Hilfe und Aufmerksamkeit, praktischen Aktionen, Grüße und auf Kundgebungen abgespielte Lieblingslieder sind für Luca und die Mitgefangenen wahrnehmbar. Sie schenken ihnen und uns immer wieder Zuversicht und Freude. Sie ermutigen, politisch aktiv zu bleiben. Das gilt für Luca drinnen genau so wie für uns hier draußen.
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Udo Lindenberg: "Rätselhaftes Bielefeld" (Songtext)