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Selbstverständlich antifaschistisch

family & friends Hamburg – selbstverständlich antifaschistisch
Knast Kundgebung HH

In Ungarn treffen sich jährlich mehrere Tausend Neonazis aus ganz Europa zum so genannten „Tag der Ehre“. Der Aufmarsch verherrlicht den Ausbruchsversuch von SS-Truppen und Wehrmachtssoldaten kurz vor der Befreiung Budapests durch die Rote Armee und dient der internationalen Vernetzung von Neonazis und (Neo)Faschisten. Im Februar 2023 kam es bei antifaschistischen Protesten zu Auseinandersetzungen mit Neonazis. Mehrere Antifaschist*innen wurden verhaftet, weitere mit europäischem Haftbefehl gesucht. Ihrer Festnahme und der drohenden Auslieferung ins rechtsautoritäre Ungarn entzogen sich die Antifaschist*innen fast zwei Jahre lang. Am 20. Januar und 20. März 2025 haben sich acht der Gesuchten freiwillig und ohne Deal den Behörden gestellt. Sieben von ihnen sitzen seitdem in Untersuchungshaft. Zaid, gegen den kein deutscher Haftbefehl besteht, war von Beginn an in Auslieferungshaft, von der er seit dem 2. Mai 2025 unter Meldeauflagen verschont ist.

Zu dem mutigen Schritt der Selbststellung haben sich die acht Personen trotz der drohenden Auslieferung nach Ungarn entschlossen. Eine von ihnen ist Clara aus Hamburg.

Wer ist „family & friends“?

Unsere Solidaritätsgruppe „family & friends Hamburg – selbstverständlich antifaschistisch“ ist ein Zusammenschluss von Claras Eltern, Freund*innen und Genoss*innen zur Unterstützung von Clara und allen weiteren beschuldigten Antifaschist*innen im „Budapest-Komplex“. Wir kommen aus unterschiedlichen linken, antifaschistischen, feministischen und aktivistischen Zusammenhängen. Wir arbeiten seit Anfang 2024 als Gruppe an dem Ziel, eine breite Öffentlichkeit zum „Budapest-Komplex“ zu schaffen, Auslieferungen nach Ungarn zu verhindern und die Freiheit aller betroffenen Antifaschist*innen zu erkämpfen. Wir unterstützen zudem ganz konkret Clara in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Billwerder in Hamburg, organisieren mit anderen Gruppen die regelmäßigen Knastkundgebungen, beteiligen uns an Solidaritäts-Veranstaltungen und führen selbst große Solidaritäts-Veranstaltungen durch.

Antifaschismus muss selbstverständlich werden

Das Jahr 2023 war von Unsicherheit, Zurückhaltung und der Hoffnung auf eine anwaltliche Lösung geprägt. Nach der Verhaftung von Maja im Dezember 2023 begannen wir mit der Öffentlichkeitsarbeit. Unser Ziel war es von Anfang an, die drohenden Auslieferungen nach Ungarn zu verhindern und mit unseren Aktivitäten den Gegenprotest zu mobilisieren; von Beginn an wollten wir dabei auch in die Breite und in die progressive (Zivil-) Gesellschaft hineinwirken. Wir wollten (und wollen) es Leuten außerhalb unseres Spektrums ermöglichen, mit den gesuchten und verhafteten Antifaschist*innen solidarisch zu sein und sich gegen die Auslieferung nach Ungarn zu stellen. 

Die erste große Informations-Veranstaltung „Viele gute Gründe für Solidarität – Gegen die Auslieferung von Antifaschist*innen nach Ungarn“ führten wir im April 2024 im Ballsaal im Stadion des „FC St. Pauli“ (FCSP) durch. Mit 250 Leuten war die Veranstaltung sehr gut besucht und es gelang, den „Budapest-Komplex“ in Hamburg erstmals im Rahmen einer größeren Öffentlichkeit zu diskutieren. Es waren Genoss*innen aus Ungarn und aus der Gruppe „NS-Verherrlichung stoppen“, Anwälte und die Eltern von Clara auf dem Podium. Gemeinsam wurden Möglichkeiten solidarischer Aktionen diskutiert. Der populäre Ort der Veranstaltung im Millerntorstadion ermöglichte es vielen Interessierten, an der Veranstaltung teilzunehmen. Der Veranstaltung voraus ging ein Aktionstag bei einem Heimspiel des FCSP: die Einladungsflyer wurden in hoher Auflage verteilt und es gab Banner zum „Budapest-Komplex“ und zur Veranstaltung in allen Kurven des Stadions.

„Gestörtes Vertrauen“ – Defizite des Rechtsstaates benennen

Anfang dieses Jahres gaben wir den Anstoß für eine Podiumsdiskussion, die unter dem Titel „Gestörtes Vertrauen - die Grenzen innereuropäischer Rechtshilfe“ am 9. Januar 2025 an der Juristischen Fakultät der Universität Hamburg im Rahmen der Reihe „Hamburger Forum zum Strafrecht“ stattfand. Die Veranstaltung wurde von der „Hamburger Arbeitsgemeinschaft für Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger“ und dem „Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV)“ unterstützt. Auf dem Podium und mit dem Publikum setzten sich Jurist*innen mit der Frage auseinander, inwiefern die Auslieferung Majas rechtswidrig war und ob Auslieferungen ins rechtsautoritäre Ungarn generell mit europäischem Recht unvereinbar sind. Unter anderem war der italienische Staatsanwalt Dr. Tarfusser, der die Auslieferung von Gabriele M. nach Ungarn untersagte, zu Gast. Gabriele ist ebenfalls ein im Budapest-Komplex beschuldigter Antifaschist. Dr. Cuno Tarfusser und der Berliner Staatsrechtler Prof. Dr. Dr. h.c. Martin Heger äußerten übereinstimmend, dass die Auslieferung Majas ein Skandal sei und der Rechtsstaat ausgehebelt wurde. Die Aussagen und Einschätzungen dieser juristischen Fachpersonen zum Budapest-Komplex sind in der Pressearbeit sehr hilfreich und werden von vielen Medien immer wieder aufgegriffen und zitiert.

Solidarität ist dringend notwendig - breiter und internationaler

In unserer dritten großen Veranstaltung „Freiheit für alle Antifas – Noch mehr gute Gründe für Solidarität“ im Februar dieses Jahres – wieder im Ballsaal des Millerntorstadions des FC St. Pauli - nahmen wir die europäische Dimension der Repression gegen Antifaschist*innen, vor allem aber die europäische Dimension der Solidarität in den Blick. Neben Informationen zum „Tag der Ehre“ in Budapest und zum aktuellen Stand der Verfahren gegen die Antifas erhielten die 500 Anwesenden durch Grußbotschaften von Ilaria Salis (einer im „Budapest-Komplex“ beschuldigen Antifaschistin aus Italien) sowie Live-Zuschaltungen von Vertreter*innen von Soli-Gruppen für weitere Beschuldigte aus Frankreich („Gino“) und Nürnberg (Hanna) Einblick in die Arbeit der internationalen Soli-Bewegung für die Antifaschist*innen und sammelten Ideen für solidarische Aktionen. Zuvor hatte der Journalist Peter Kreysler zudem über den massiven Umbau des demokratischen Rechtsstaates in Ungarn berichtet. 

Im Juni folgte die nächste von uns initiierte Veranstaltung „Gestörtes Vertrauen“ im Hamburger Schauspielhaus sprachen Anwält*innen, Aktivist*innen, Schauspieler*innen und Musiker*innen - ausgehend vom „Budapest-Komplex“ - über das Verhältnis von Rechtsstaat und Rechtsextremismus und darüber, inwieweit die extreme Rechte bereits Einfluss auf die Institutionen ausübt. 

Neben der Durchführung eigener Veranstaltungen werden wir von anderen Soli-Gruppen in Deutschland eingeladen und berichten dort über den Stand der Verfahren. Wir informieren in unserem familyfriendshamburg Insta-Account regelmäßig über den „Budapest-Komplex“, die Repression gegen die Betroffenen und über solidarische Aktionen.

Konkrete Unterstützung von Clara im Knast

Ein Schwerpunkt unserer Solidaritätsarbeit ist aktuell die Begleitung von Clara in der JVA Billwerder, wohin sie von Karlsruhe überstellt wurde, nachdem sie sich im Januar gestellt und der Generalbundesanwalt Untersuchungshaft angeordnet hatte. Clara geht es den Umständen entsprechend gut, sie hat gute Kontakte zu anderen Gefangenen. Bei der letzten Knastkundgebung wurde ein Lieblingssong einer Mitgefangenen auf Claras Vermittlung hin gespielt. Clara erhält viele Briefe, über die sie sich sehr freut, die Brieflaufzeit ist in der Regel circa drei Wochen. Der Bundesgerichtshof (BGH) liest jede Zeile und lässt die Briefe durch oder hält sie zurück. In Billwerder gibt es leider keine Bibliothek für Untersuchungsgefangene. Bücher und CDs erhält Clara nur auf Antrag. Nach der Genehmigung des Antrages durch die JVA bestellen Unterstützer*innen sie bei einer bestimmten Buchhandlung. Die Buchhandlung schickt die Ware dann direkt in den Knast. Zweimal im Monat hat Clara für jeweils eine Stunde Besuchszeit unter Aufsicht eine*r Beamt*in des Landeskriminalamtes (LKA). Zwei Erwachsene und ein Kind dürfen sie gleichzeitig besuchen. Nachdem Clara anfangs nur alle zwei Wochen mit Angehörigen telefonieren durfte, hat sie einen entsprechenden Antrag gestellt und kann seit neuestem wöchentlich eine Stunde telefonieren. Die Telefonate werden vom LKA mitgehört und können jederzeit abgebrochen werden. Wir sind immer wieder fassungslos, mit welchen schikanösen Maßnahmen Clara konfrontiert ist: regelmäßige Zellenrazzien, zum Teil mit Hund, willkürliche Verweigerung von Freizeitangeboten, wiederholt keine Information von JVA-Seite an Clara über genehmigte Telefonate, (sie muss zu genehmigter Zeit vom Anstaltsflurtelefon anrufen, dafür muss sie aus ihrer Zelle gelassen werden), keine Möglichkeit weiter zu studieren, sehr breiter Tisch bei den Besuchen, sodass sie ihren Besucher*innen nicht nah sein kann, 15 cm hohe Trennscheibe in der Mitte vom Tisch, keine Uhr im Besuchsraum. Frauen können sich auf Antrag manchmal eine Schreibmaschine kaufen, Männer hingegen haben zum Teil Zugang zu Computern mit eingeschränktem Internetzugang. Diese Haftbedingungen müssen dringend genauer und grundsätzlich unter die Lupe genommen, skandalisiert und verändert werden.

Für die am 20. Januar und 20. März Aufgetauchten ist die Situation aktuell komplett unklar: Es gibt bisher keine Anklageschrift der Bundesanwaltschaft (BAW)1 und ebenfalls noch keine richterliche Entscheidung bezüglich einer nach wie vor möglichen Auslieferung nach Ungarn. Das von Maja und Majas Anwälten erwirkte Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 6. Februar 2025, das die Auslieferung Majas nach Ungarn als eindeutig rechtswidrig beurteilt, ist in jedem Fall hilfreich, da es die Hürden einer Auslieferung sehr erhöht. Der Generalbundesanwalt (GBA) hat beantragt, die Verfahren gegen die Beschuldigten mit deutscher Staatsangehörigkeit in Deutschland zu führen. Eine Auslieferung nach Ungarn scheint für die sieben Antifas mit deutschem Pass nach dem BVerfG-Urteil zwar eher unwahrscheinlich, für Zaid hingegen, gegen den nur ein ungarischer Haftbefehl vorliegt, droht nach wie vor die Auslieferung.2

Wir sehen zudem, dass die jungen Antifaschist*innen in den anstehenden Verfahren zu angeblich gemeingefährlichen Gewalttäter*innen hochstilisiert werden. Diese Verfolgung von Antifaschist*innen findet in Zeiten kontinuierlicher Angriffe auf Demokratien in ganz Europa statt. (Neo)faschistische und extrem rechte Parteien gewinnen an Einfluss, Parteien wie die CDU/CSU taumeln nach rechtsaußen und die Anzahl rechtsmotivierter Gewalttaten steigt.

Internationale Solidarität hilft konkret und schafft Strukturen für die anstehenden Kämpfe

Es macht uns trotz alledem zuversichtlich, dass die Solidarität in den letzten Monaten
deutlich gewachsen ist, hier in Deutschland und auch europaweit. An vielen Orten gibt es vielfältige Initiativen und Aktionen: Knastkundgebungen, Demonstrationen, Spendensammlungen, Veranstaltungen. Politiker*innen setzen sich ein, engagierte Journalist*innen berichten und in juristischen Kreisen wird über Auslieferungsbegehren und Haftbedingungen innerhalb des europäischen Rechtsraums diskutiert.

Genau an diesem Punkt der Solidarität sehen wir auch eine Chance, Antifaschismus gesellschaftlich wieder stärker in der Breite zu verankern und selbstverständlich zu machen. Es muss und wird uns gelingen, über die eigenen Zusammenhänge hinausgehend zu verdeutlichen, wie sich der gesellschaftliche Rechtsruck bei uns (und weltweit) in allen Strukturen des Apparats abbildet. Mit unserer Solidaritäts-Arbeit wollen wir deutlich machen, dass der Umgang mit den Antifas im „Budapest-Komplex“ exemplarisch für das steht, was politische Opposition in einer rechts-autoritären Zukunft hier und in anderen Staaten zu erwarten hat. Wir versuchen, das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass dies erst der Anfang ist und wir jetzt gegen die Angriffe auf Rechtsstaatlichkeit und Zivilgesellschaft aktiv werden müssen. 

Zudem steht der massive Verfolgungswille der Behörden in keinem Verhältnis zu den vorgeworfenen Taten und muss immer wieder thematisiert werden. Family & friends versucht, möglichst viele Leuten zu bestärken, mit den verfolgten Antifas solidarisch zu sein, auch wenn sie selbst nicht aus antifaschistisch organisierten Zusammenhängen kommen oder sie keinerlei Sympathie mit militanter Praxis haben. So propagiert unsere Plakatreihe neben der uneingeschränkten Solidarität mit allen Antifas auch den Slogan „Demokratie braucht Antifaschismus“. Ohne Entsolidarisierungen vertreten wir in unserer Öffentlichkeitsarbeit, dass Antifaschismus als eine radikal humanistische Haltung in allen gesellschaftlichen Bereichen offensiv vertreten werden sollte. 

Unsere Veranstaltungen sind Orte der Begegnung und Diskussion, der Vernetzung und der Solidarität und sollen dazu beitragen, verlässliche solidarische Strukturen zu schaffen, die wir in den zukünftigen Kämpfen dringend brauchen werden. Deshalb führen wir neben Knastkundgebungen und konkreter Unterstützung für die antifaschistischen Gefangenen unsere Veranstaltungen bewusst im Schauspielhaus, im Rechtshaus der Uni Hamburg oder im Ballsaal des FC St. Pauli durch. Wir wollen Bündnispartner*innen in allen gesellschaftlichen Bereichen gewinnen und den Rechtsruck allerorten deutlich machen. Wenn wir die Entwicklung unserer Soliarbeit reflektieren, können wir feststellen, dass die Kreise, die wir mit unseren Aktionen erreichen, erfreulicherweise kontinuierlich größer werden. 

Selbstverständlich antifaschistisch werden wir als Gruppe weitermachen, bis alle Antifas wieder frei sind. Freiheit für alle Antifas - Holt Maja zurück - Keine Auslieferung von Zaid nach Ungarn. Alle zusammen gegen den Faschismus.