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»Mehr Angst vor der Polizei als vor Neonazis«. Mit Massenfestnahmen gegen AntifaschistInnen

Einleitung

Die »Kultur des Hinschauens« ist in Nordrhein-Westfalen schon wieder verboten. Beim Protest gegen Neonaziaufmärsche wurden im letzten Herbst weit über 1000 AntifaschistInnen festgenommen. Gegen Einkesselungen und Massenfestnahmen hat sich breiter Protest gebildet, die Behörden sind mit Klagen und Dienstaufsichtsbeschwerden konfrontiert.

Polizeieinsatz gegen AntifaschistInnen. Hier in Hamburg 2012.

Als am 16. Dezember 2000 rund 200 Anhänger der »Freien Kameradschaften« in Dortmund aufmarschierten, stand das bundesweit mobilisierte Polizeiaufgebot überwiegend mit dem Rücken zu den Neonazis. Daher entging den Beamten wohl auch, dass während des Aufmarsches mehrfach gegen die Auflagen verstoßen wurde, und sie griffen nicht ein. Mit Straßensperren, Wasserwerfern und Räumpanzern war ein ganzes Stadtviertel hermetisch abgeriegelt worden. In dieser »nationalbefreiten Zone« konnten die Nazis unbehelligt von Protesten einen gespenstischen Mummenschanz abziehen.

Die von Ralf T. von der Kameradschaft Rhein-Sieg zum Besten gegebene Goebbelskopie hätte für sich genommen bereits einen Verbotsgrund darstellen müssen. Die Repression richtete sich jedoch ausschließlich gegen fast 600 AntifaschistInnen, die in Sicht- und Hörweite gegen den Naziaufmarsch protestieren wollten. Sie wurden erst eingekesselt und dann festgenommen. Bis zu sechs Stunden mussten die überwiegend jugendlichen Antifas unter den üblichen Schikanen und bei klirrender Kälte ausharren, bevor sie mit auf dem Rücken gefesselten Händen ins Polizeigefängnis abtransportiert wurden.

Nur 22 der Festgenommenen wird die angebliche Begehung von Straftaten vorgeworfen. 573 Menschen wurden mit der Begründung der »Gefahrenabwehr« festgenommen, ein reiner Vorwand, da die Neonazis zu dem Zeitpunkt längst aus der Stadt eskortiert worden waren. Zuvor hatte die Polizei ungefähr die Hälfte der Wegstrecke der Demonstration eines breiten Dortmunder Bündnisses verboten, die in die Nähe des Naziaufmarsches ziehen wollte.

Der unverhältnismäßige und brutale Polizeieinsatz diente allein der Diskriminierung und Kriminalisierung von antifaschistischem Protest. Bereits am 21. Oktober waren in Dortmund 300 AntifaschistInnen eingekesselt, festgenommen und mit Verfahren überzogen worden. Eine Woche später war es in Düsseldorf zu Massenfestnahmen von über 200 Menschen gekommen. Das Ruhrgebiet ist derzeit erklärter Aktionsschwerpunkt der »Freien Kameradschaften«.

Nordrheinwestfälische Polizeilinie

Sowohl Betroffene als auch Eltern von festgenommenen Jugendlichen haben sich gegen die Polizeigewalt organisiert und zahlreiche Strafanzeigen und Dienstaufsichtsbeschwerden gegen den Dortmunder Polizeipräsidenten eingereicht. Darunter auch eine des Kamener Juristen und Beigeordneten Heiner F., pikanterweise auch Leiter des Ordnungsamtes. Er wirft dem Polizeipräsidenten Hans Schulze Freiheitsberaubung, Kindesentzug und Körperverletzung vor. Sein Sohn hatte mit der Kamener Gruppe »Zivilcourage« gegen den Neonaziaufmarsch protestiert. Die Massenfestnahmen in Dortmund sind jedoch nicht mit dem repressiven Vorgehen eines besonders »scharfen« Polizeipräsidenten zu erklären.

Während einer Anhörung im Landtag am 25. Jannuar 2001 erklärte der Vertreter des Innenministeriums, Hans-Dieter Glietsch, das Vorgehen der Polizei entspreche der »nordrheinwestfälischen Linie«. Auch die »Notgemeinschaft betroffener Eltern, deren Kinder am 28.10.2000 inhaftiert wurden« sieht eine systematische Vorgehensweise, die auch Parallelen zu Polizeieinsätzen in Bonn oder Ahaus zeige. Selbst SPD-Abgeordnete zeigten sich nach der Anhörung erschüttert über die erdrückende Vielzahl der Beispiele von Polizei-Repression gegen jugendliche AntifaschistInnen. Ein Jugendlicher hatte die Stimmung der Betroffenen auf den Punkt gebracht: »Nach diesen Erfahrungen habe ich mittlerweile mehr Angst vor der Polizei als vor den Neonazis«.

Das Nachspiel vor Gericht

Die stundenlange Einkesselung von rund 600 AntifaschistInnen in Dortmund war unrechtmäßig. Das stellte das Oberverwaltungsgericht Münster Anfang März in einem Eilverfahren fest. Eine Versammlung könne nur durch Auflösung beendet werden, nicht durch Einkesselung und Festnahme. Nach diesem Urteil können DemonstrantInnen nun Schmerzensgeldansprüche gegenüber der Polizei geltend machen, so Anwalt Reiner Budde. Dies soll nun massenhaft geschehen, um der Polizei deutlich zu machen, dass ihr willkürliches Vorgehen nicht hingenommen wird.