Drohbrief aus dem Polizeicomputer
Am 22. Dezember 2017 erhielten drei linke Lokalitäten in Berlin einen Brief, dessen Absender sich als „Zentrum für politische Korrektheit“ bezeichnete. In dem neun Seiten langen Dokument wurden 45 Personen namentlich aufgezählt. 21 der Personen wurden mit Bildern aus ED-Behandlungen1 oder aus dem Melderegister des Landeseinwohneramtes abgebildet, 13 von ihnen sollten angeblich in dem linken Hausprojekt „Rigaer Straße 94“ wohnen. Zusätzlich wurden weitere Wohnorte und persönliche Informationen (Urlaube, Haustiere) aufgelistet. Den Personen wurden politische Zusammenhänge, wie „Out of Control“, „Red Stuff“ oder schlicht „Antifa“ zugeordnet. Zu den Beschreibungen gehörten auch Diffamierungen wie „Bullenspitzel“; „dünne Arme“; „Feuerteufel“; „Werfen wie Mädchen, peinlich mit denen was zu machen“. Es gibt keine nachvollziehbaren Verbindungen zwischen den Aufgeführten, alle kommen aus unterschiedlichen Generationen antifaschistischer Organisierung, sind zum Teil nicht mehr organisiert und kennen sich zum größten Teil nicht. Trotzdem wird ihnen pauschal unterstellt, sie seien verantwortlich für strafbare Aktionen. Die Autor_innen (der gesamte Brief wurde im Plural verfasst) geben an, noch weitere Informationen wie „Telefonnummern, Autokennzeichen“, „Namen Adressen Fahrzeuge Eltern Geschwister“ zu besitzen und drohen mit der Weitergabe „an die Identitären die AN‘s2 an Bullen“. Die Zitate spiegeln die orthografischen Fähigkeiten der Verfasser_innen wider.
Nachdem die Hintergründe dieses Einschüchterungsversuches durch die Presse öffentlich wurden, war die „Fachdienststelle für Polizeidelikte“ im Berliner Landeskriminalamt (LKA) gezwungen, zu ermitteln. Aufgrund der im Brief genutzten Daten, war der Schluss, dass die Polizei Berlin zumindest beteiligt war, naheliegend. Die Senatsverwaltung für Justiz erlangte offiziell erst durch die Berliner Beauftragte für Datenschutz davon Kenntnis und erbat mit Anordnung vom 16. Januar 2018 durch die Generalstaatsanwaltschaft Berlin bei der Staatsanwaltschaft Berlin einen Bericht. Durch die Berichtsanordnung habe man hier erstmals Kenntnis erhalten.1
Ermittlungen unter Kolleg_innen
Bei den Ermittlungen wurden über die Machine Identification Codes2 das Druckermodell und die Seriennummer ermittelt und durch Europol mitgeteilt, an welche konkrete Firma das entsprechende Gerät verkauft worden war. Diese teilte mit, den Drucker an die Polizei Berlin geliefert zu haben. Daraufhin wurde das Druckerprotokoll angefordert, welches ergab, dass am 21. Dezember 2017 drei Dokumente mit jeweils neun Seiten von dem Polizeikommissar Sebastian K. ausgedruckt wurden.
Zunächst konnte keine Verbindung zwischen dem Polizeibeamten und den im Brief genannten Personen hergestellt werden. Erst eine Befragung des Leiters der für „politisch motivierte Straftaten links“ verantwortlichen Fachdienststelle LKA 521 ergab, dass der Brief von Mitarbeiter_innen seiner Abteilung verfasst worden sein muss, die Bilder jedoch veraltet seien. Auf Nachfrage gab er an, dass K. in der Auswerteeinheit des LKA 52 für linkspolitisch motivierte Kriminalität zuständig war, aktuell jedoch nicht mehr dort arbeite. Im Februar 2019 bezeichnet die "Senatsverwaltung für Inneres und Sport" den rechtskräftig zu einer Geldstrafe verurteilten K. (hier als „damals Beschuldigter“ bezeichnet) als einen Mitarbeiter der Direktion Einsatz (Dir E). Sebastian K. war bis zum 9. September 2012 Mitarbeiter des LKA 643 und mit der „phänomenologischen Aufklärung“ im Bereich der politisch motivierten Kriminalität beauftragt. Von 2013 bis 2015 war er in der Abteilung "Polizeilicher Staatsschutz Links" des LKA Berlin in der Auswerteeinheit (LKA 52 AE) tätig.
In eben dieser Einheit ist seine Lebensgefährtin als Kriminalkommissarin tätig. Sie wurde nicht als Tatverdächtige geführt, obwohl sie im relevanten Zeitraum auf im Brief genannte Daten zugriff. Da sie dazu berechtigt gewesen sei, wurde sie als Zeugin vernommen. Eine kurze Open-Source-Recherche im Internet zeigt: Die Kriminalkommissarin war zuvor offenbar auch (partei)politisch aktiv. 2012 war in „Die Schwarzen Seiten“, dem „Magazin der Jungen Union Sachsen und Niederschlesien“, ein Beitrag über sie zu lesen (Niederschlesien liegt heute übrigens in Polen). In einem Interview mit der damals bereits rechts außen agierenden CDU-Frau Erika Steinbach lässt sich der politische Standpunkt des Heftes ablesen. „Sind Sie der Auffassung, dass Gauck (...) die Probleme der Vertreibung der Deutschen aus den Ostgebieten vergisst?“. Die CDU-Jugend berichtet unter dem Titel „Mit guter Mannschaft in die Wahljahre“ auch über die Vorstandswahl am 17. Februar 2012 in Torgau. Damit die Parteijugend „ihre politischen Ideen inhaltlich auch in die Parlamente tragen kann, bedarf es eines Vorstandes, der die jugendpolitische Organisation entsprechend führt“. In diesem war sie mit der „Verantwortung für die Finanzen" betraut.4
Bei dem Beamten K. zumindest folgten Durchsuchungen seiner Wohnanschrift und der Diensträume. In seiner Wohnung wurde ein USB-Stick der Polizei Berlin - mit Klebeband umklebt - gefunden, welcher eine Power-Point-Präsentation mit dem Titel „Nervensägen“ enthielt. Dieser Präsentation hat er laut LKA 342 sein Bildmaterial für die Briefe entnommen. Es wurden weitere Sticks, ein Ipad und ein Notebook beschlagnahmt, auf denen sich noch mehr Präsentationen und Hintergrundmaterial befanden.
Beim LKA 52 AE bestand ein Teil seiner Aufgaben in Vortragstätigkeiten, die ihn bis 2015 dazu befugten, derartige Daten zu bearbeiten bzw. zu erstellen. Mit Hilfe seines - laut Eigenwerbung auf die Verteidigung von Polizisten spezialisierten - Rechtsanwalts Guido Fickenscher räumte K. im Juni 2018 ein, den Brief am Dienst-PC verfasst und zwei Exemplare verschickt zu haben, die Datei wurde dabei angeblich nicht gespeichert. Zudem gab er an, keine Helfer_innen gehabt zu haben und den Brief als Kurzschlussreaktion auf die Veröffentlichung von sogenannten „Fahndungsfotos“ von Beamt_innen, die an der Räumung einer „Szenekneipe“ in der Rigaer Straße beteiligt waren, verfasst zu haben.
Schon zu Beginn der Ermittlungen bat die Datenschutzbeauftragte des Landes Berlin um Mitteilung zum Stand des Verfahrens. Weder sie noch die Betroffenen, von denen mindestens zwei Anzeige erstatteten, wurden im Laufe des Verfahrens über den Sachstand informiert. Auch nach Abschluss der Ermittlungen erfolgte keine entsprechende Benachrichtigung. Erst, nachdem das Amtsgericht Tiergarten einen Strafbefehl ausstellte, der lediglich wegen des Verstoßes gegen das Berliner Datenschutzgesetz ausgefertigt wurde, und K. diesen akzeptierte, benachrichtigte die Staatsanwaltschaft einen Betroffenen-Anwalt. Im Strafbefehl wurde K. zu 50 Tagessätzen á 70 Euro verurteilt. Somit ist er nicht vorbestraft und das Verfahren abgeschlossen. Das Verfahren kann nun nicht wieder aufgenommen werden oder auf die Tatbestände Beleidigung oder Bedrohung ausgeweitet werden, da im Strafrecht eine mehrfache Bestrafung für die gleiche Tathandlung ausgeschlossen ist. K.‘s Zugangsrechte auf das polizeiinterne Informationssystem POLIKS wurden zwischenzeitlich eingeschränkt und es läuft ein Disziplinarverfahren gegen ihn.
Den Anwält_innen der Geschädigten und der Datenschutzbeauftragen wurde erst nach Rechtskraft des Strafbefehls Einsicht in eine stark gekürzte Ermittlungsakte gewährt. Der Akteneinsicht-Band umfasst lediglich zehn Seiten, der genaue Ablauf der Ermittlungen sowie die gefundenen Daten sind nicht ersichtlich. Die Einzeltäterthese ist wenig glaubhaft, wenn man bedenkt, dass einige der Informationen in den Briefen jünger als 2015 sind.5 K. selbst hat in dem Zeitraum des Verfassens des Briefes nicht auf die Daten im POLIKS zugegriffen, seine Lebensgefährtin hingegen hätte das schon gekonnt. Sie ist „verantwortlich“ für mindestens zwei im Brief genannte Personen und für Gefahrenanalysen, welche als Grundlage für das Einsetzen operativer Mittel gelten. Durch ihre Arbeit beim LKA 52 AE hat sie Zugriff auf Informationen über Personen, die als linksmotivierte Straftäter_innen eingestuft wurden oder durch sie eingestuft werden.
- 1Abgeordnetenhaus von Berlin, Drucksache 18 / 17 665
- 2Ein digitales Wasserzeichen, das von bestimmten Druckern auf jeder gedruckten Seite angebracht wird. Der Code kann eine Identifikation des Geräts ermöglichen
- 3Ehemals PMS (Politisch Motivierte Straßenkriminalität), heute MEK AOD (Mobiles Einsatzkommando für Aufklärung und operative Dienste)
- 4Die Schwarzen Seiten, Nr. 2/2012, S. 27
- 5Vgl. rbb24: "Drohbriefe eines Berliner Polizisten: Hatte er Helfer?", Georg Heil, 21.2.2019