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Extrem rechter Frauenhass und neonazistische Gewalt

Heike Kleffner
Einleitung

Eine potenziell tödliche Mischung

Die Ergebnisse der ersten europaweiten Studie zu Gewalt gegen Frauen in den EU-Staaten sind eindeutig: Jede dritte Frau hat seit dem Alter von 15 Jahren körperliche und/oder sexualisierte Gewalt erlebt. Zwei Drittel aller Frauen, die Gewalt in einer Partnerschaft erlebt haben, meldeten die schwerwiegendsten Gewaltvorfälle innerhalb der Partnerschaft weder der Polizei noch einer anderen Organisation. Für diese international einmalige Studie hatte die Europäische Grundrechteagentur (FRA) 42.000 Frauen in allen EU-Mitgliedsstaaten zu ihren Erfahrungen befragen lassen.1

Auffällig beim Umgang mit Gewalt und Verbrechen ist der extreme Widerspruch zwischen der politischen Propaganda der extremen Rechten und der konkreten Praxis einiger ihrer Aktivisten.

Besonders gefährdet, Opfer von Gewalt zu werden, sind dabei auch Frauen, die freiwillig oder unfreiwillig Kontakt mit Aktivisten der neonazistischen und extrem rechten Bewegung haben. Der Frauenhass, der dieser spezifischen Form von Gewalt zugrunde liegt, ist tief in der Ideologie der Ungleichwertigkeit der extremen Rechten verankert. Diese Gewalt richtet sich sowohl gegen politische Gegnerinnen als auch gegen Lebensgefährtinnen extrem rechter und neonazistischer Aktivisten sowie gegen Zufallsopfer und Sexarbeitende. Besonders auffällig ist hier auch der extreme Widerspruch zwischen der politischen Propaganda der extremen Rechten, in der eine besondere Schutzbedürftigkeit von Frauen und Kindern mehrheitsdeutscher Herkunft vor sexualisierter Gewalt zum Flügel-übergreifenden Konsens gehört: Mit Kampagnen zu Kinderschutz und Kindesmissbrauch versucht die extreme Rechte zudem seit langem, anschlussfähig zur gesellschaftlichen Mitte zu werden. Im Widerspruch dazu steht vielerorts die konkrete Praxis der extrem rechten Aktivisten.
Im Folgenden beleuchtet der Artikel die tödliche Dimension von extrem rechtem Frauenhass (1), untersucht die Strategie der sexualisierten Gewalt gegen politische Gegnerinnen sowie in einem rassistischen Kontext (2) und thematisiert szeneinterne sexualisierte Gewalt (3).

1.) Tödlicher Frauenhass

Das Facebook-Profil von Stefan B. aus Neuburg am Inn (Bayern) ist immer noch online. Auf den ersten Blick unterscheiden sich die Links und Likes kaum von denen anderer Aktivisten der extremen Rechten: Geliked wird die Facebook-Präsenz der NPD, der Liedtext „Vergeltung“ der Neonaziband Landser, mit dem der NS-Kriegsverbrecher Rudolf Heß verherrlicht wird, mitsamt der Abbildung eines Revolvers. Stefan B. ist virtuelles Mitglied der „Patrioten Österreichs“, deren Islamhass mit eindeutigen Gewaltaufrufen einhergeht – wie beispielsweise „Jagt die Sozialschmarotzer und auch gleich unsere Volksverräter aus dem Land“ und „Nutzt endlich die Vielzahl unserer guten deutschen Bäume!“ Und er ist ganz offensichtlich verbunden mit der neonazistischen Kameradschaftsszene in Ingolstadt (Bayern).
Auf den zweiten Blick fällt eine Mischung auf, die viele Facebook-Profile extrem rechter Aktivisten und szeneaffiner Männer kennzeichnet: Likes für neonazistische Kampagnen gegen sexuellen Kindesmissbrauch, die bei Facebook unter Slogans wie „Finger weg von unseren Kindern“ auf Sympathisierenden-Suche gehen, und direkt daneben extrem frauenverachtende und Gewalt gegen Frauen verherrlichende Texte wie zum Beispiel ein Lied des (nicht-rechten) Rappers "Frauenarzt" mit detaillierten Vergewaltigungsbeschreibungen.
Seit dem 12. Februar 2014 befindet sich der 26-jährige Stefan B. in Untersuchungshaft wegen Mordverdachts. Das Polizeipräsidium Oberbayern Nord teilte mit, Stefan B. habe ein Teilgeständnis abgelegt, wonach er eine 12-jährige Schülerin, die sich im ländlichen Raum alleine auf dem Nachhauseweg befand, in seine Gewalt gebracht, getötet und sexuell missbraucht habe.1 Die Leiche des Mädchens war am 11. Februar 2014 in einem Weiher bei Neuburg (Landkreis Eichstätt) gefunden worden. Inzwischen ermittelt auch das Landeskriminalamt Innsbruck (Österreich) im Fall einer getöteten 20-jährigen Austauschstudentin aus Frankreich gegen Stefan B., deren Leiche am 12. Januar 2014 am Inn-Ufer in Kufstein (Österreich) gefunden wurde.2 Es ist Robert Andreasch von a.i.d.a. e.V. (Antifaschistische Informationsstelle und Dokumentationsarchiv) in München zu verdanken, dass der extrem rechte Hintergrund von Stefan B. öffentlich wurde.3 Die Staatsanwaltschaft Ingolstadt hat diesen Hintergrund bislang der Öffentlichkeit verschwiegen. 

Stefan B. ist keineswegs ein Einzelfall. Eine ähnlich tödliche Mischung aus extrem rechter Ideologie und öffentlichem Frauenhass findet sich auch bei dem selbsternannten Neonazi-Rapper Alexander K. aka „Sash JM“, dessen Lieder auf youtube vor allem durch extremen Frauenhass, Gewalt- und Tötungsphantasien sowie Verherrlichung des Nationalsozialismus auffallen. In der bekannten Diktion neonazistischer Musiktexte glorifiziert Alexander K. auf youtube in dem so genannten „Oslo Amok Terror Song 2011“ den norwegischen Attentäter Anders Breivik als „Mein Star für Oslo“ und kündigt an, ebenso wie Breivik „über Leichen“ gehen zu wollen. Auch unter dem Titel „Autobahn“ fallen Sätze wie „an alle Politiker, fette Bonzen und Chefs, eine Bombe für euch […]."4

Am 23. Oktober 2013 verurteilte das Landgericht Hannover Alexander K. wegen Mordes an einer 44-jährigen zu 12 Jahren Haft und Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik. Das Gericht ging in seiner mündlichen Urteilsverkündung davon aus, dass der 25-Jährige die Gelegenheits-Sexarbeiterin in der Nacht vom 27. Oktober 2012  aus „Mordlust“ tötete. Alexander K. hatte Andrea B. auf der Straße angesprochen und sie zu sich nach Hause mitgenommen. Dort machte sich die 44-Jährige offenbar über die zahlreichen Hinweise auf Alexander K.‘s neonazistische Gesinnung und Hitler-Verherrlichung lustig. Dabei handelte es sich nach Ansicht des Gerichts um den „Türöffner“ für K., seine Tötungs- und „Omnipotenz“-Phantasien  in die Tat umzusetzen.5 Da sowohl die Verteidigung als auch die Staatsanwaltschaft Revision gegen das Urteil eingelegt haben, sind die schriftlichen Urteilsgründe für Journalistinnen und Journalisten noch nicht einsehbar. Eines jedoch ist auffällig: Obwohl in den letzten zwei Jahrzehnten in mehreren Urteilen gegen Neonazis die Gerichte in ihren Urteilsbegründungen explizit die Zusammenhänge zwischen der extrem rechten Ideologie und tödlichem Frauenhass thematisiert haben, findet sich Misogynie6 bislang nicht im überarbeiteten Indikatorenkatalog für eine retroaktive Prüfung von Tötungsdelikten mit mutmaßlichem rechten Hintergrund durch das BKA.
Zu den Fällen, in denen die Gerichte einen eindeutigen Zusammenhang hergestellt haben, gehört u.a. der Mord an der 32-jährigen Beate Fischer aus Berlin am 23. Juli 1994. Drei neonazistische Skinheads hatten die Sexarbeiterin vergewaltigt und dann getötet. Beate Fischer war den drei Männern zunächst freiwillig in eine Wohnung gefolgt. Dem Gericht zufolge hatte die Frau dort freiwillig Sex mit allen, wollte dann aber nach einer Misshandlung die Wohnung verlassen. Die Neonaziskins zwangen sie daraufhin, in der Wohnung zu bleiben und vergewaltigen sie mehrmals. Dann töteten sie Beate Fischer. In der mündlichen Urteilsbegründung sagte der Richter, die Neonazis hätten „nach ihrer Wolfsmoral Sex als die Bühne ihrer Macht benutzt". Das Landgericht Berlin verhängte eine lebenslange Haftstrafe für den 21-Jährigen Haupttäter und neun und zehn Jahre Jugendstrafe für die zwei Mittäter.

2.) Sexualisierte Gewalt gegen politische Gegnerinnen

Etwas weniger als ein Fünftel aller bekannt gewordenen Betroffenen rechter und rassistischer Gewalt in den neuen Bundesländern und Berlin sind Frauen und junge Mädchen – das wird anhand von Statistiken der unabhängigen Beratungsprojekte für Opfer rechter und rassistischer Gewalt in den neuen Bundesländern und Berlin deutlich. In ihren jeweiligen Jahresstatistiken lässt sich nachvollziehen, wie der Anteil weiblicher Opfer rechter Gewalt in den Gesamtzahlen der Beratungsstellen zwischen 2004 und 2009 im Mittel von 13 Prozent auf 17 Prozent gestiegen ist. Dabei divergiert der Frauenanteil durchaus von Bundesland zu Bundesland. In Mecklenburg-Vorpommern hat LOBBI e.V. beobachtet, dass der Anteil von Frauen und Mädchen, die Opfer rechter und rassistischer Gewalt geworden sind, von 24 Prozent im Jahr 2012 auf knapp ein Drittel aller Betroffenen im Jahr 2013 gestiegen ist. In Brandenburg hingegen liegt der Frauen- und Mädchenanteil nach Angaben der Opferperspektive e.V. unter den bekannten Fällen rechter Gewalt seit Jahren konstant zwischen 11 und 13 Prozent. Eine vergleichbare Auswertung der jährlich erfolgenden statistischen Erhebungen des Bundeskriminalamtes (BKA) und der Landeskriminalämter (LKÄs) zur so genannten politisch rechts motivierten Gewaltkriminalität in Bezug auf das Geschlecht der Betroffenen existiert bislang offenbar nicht – jedenfalls nicht in für die Öffentlichkeit zugänglicher Form.
Zuletzt haben Willems/Steigleder in ihrer Studie "Täter-Opfer-Konstellationen und Interaktionen im Bereich fremdenfeindlicher, rechtsextremistischer und antisemitischer Gewaltdelikte" aus dem Jahr 2003 rund 270 Fälle rassistisch motivierter  Gewalt, die vom LKA Nordrhein-Westfalen für die Jahre 2000 bis 2002 erfasst worden waren, auch auf den Frauenanteil unter den Betroffenen ausgewertet.7 Danach waren in den Jahren 2000 bis 2002 31,3, Prozent aller Betroffenen rassistischer Gewalt in Nordrhein-Westfalen Frauen beziehungsweise  Mädchen.8 Schlüsselt man die von den Opferberatungsstellen in den neuen Bundesländern und Berlin zwischen 2004 und 2009 erfassten Fälle rechter Gewalt nach den Tatmotiven auf, wird deutlich, dass auch hier der Anteil der Frauen, die aufgrund ihrer Hautfarbe oder (vermeintlichen) Herkunft von rechter Gewalt betroffen waren, bei knapp einem Drittel liegt. In den meisten anderen Fällen wurden Frauen angegriffen, weil sie von den Tätern und Täterinnen gezielt als politische Gegnerinnen ins Visier genommen wurden. Das Ziel: Die betroffenen Frauen explizit in ihrer Identität als Frauen und als Linke anzugreifen und zu erniedrigen – sowohl verbal mit sexistischen Beschimpfungen und Androhung sexualisierter Gewalt bis hin zu physischen sexualisierten Grenzverletzungen und expliziter sexualisierter Gewalt.
In RechtsRock-Liedern wird diese Form sexualisierter Gewalt gegen linke Frauen explizit propagiert: „Antifanten Schwuppen, wo sind eure Puppen? Bringt sie doch im Februar nach Dresden mit zum Schlucken. Antifanten Mädchen, wollt ihr was erleben? Wenn ihr Bock auf blasen habt, dann sehen wir uns in Dresden. [...]“ heißt es beispielsweise im Lied „In Dresden“ des Neonazi-Rappers MaKss Damage.9 Dass es nicht bei Rhetorik bleibt, soll hier an ausgewählten Fällen verdeutlicht werden.
Zum Beispiel in Halberstadt (Sachsen-Anhalt), wo am 21. Dezember 2007 eine 19-jährige alternative Jugendliche beim Durchqueren eines Parks von drei Rechten aus dem Spektrum der Freien Kameradschaften angegriffen und schwer verletzt wurde. Zunächst wurde die Betroffene von einer an dem Angriff beteiligten Frau als „linke Zecke“ beschimpft und dann unvermittelt von ihr ins Gesicht geschlagen und zu Boden gerissen. Am Boden liegend wurde die 19-Jährige dann von einem der männlichen Angreifer sexuell belästigt. Die junge Frau wehrte sich verzweifelt, während alle drei Rechten auf sie eintraten. Bei dem Angriff erlitt die 19-Jährige einen Bruch der Augenhöhle und Prellungen am gesamten Oberkörper. Sie musste stationär im Krankenhaus behandelt werden. Als Polizeibeamte das polizeibekannte rechte Trio vorläufig festnahmen, zeigte die 21-jährige Frau unter den Angreifern noch den so genannten „Hitlergruß“.10 Oder in Wunstorf (Niedersachsen), wo eine 20-jährige Antifa-Aktivistin Anfang 2009 mit einem Freund auf dem Nachhauseweg war, als sie am Bahnhof von Wunstorf in der Nähe eines alternativen Jugendzentrums von rund 30 Neonazis erkannt und angegriffen wurde. „Ich bring dich um, ich bring dich um, du Schlampe“, drohte der Haupttäter, der wegen gefährlicher Körperverletzung mit Todesfolge vorbestrafte Marco S. Der zur Tatzeit 27-jährige Neonazi war 1999 an der Tötung eines sozial randständigen Mannes  beteiligt gewesen und stieg nach seiner Entlassung aus der Haft zu einem wegen seiner Brutalität gefürchteten Kameradschaftsaktivisten in der „Nationalen Offensive Schaumburg“ auf. Erst als Polizeibeamte an diesem kalten Wintertag vor Ort eintrafen, hörte Marco S. mit den Misshandlungen der bewusstlos am Boden liegenden jungen Linken auf. Sie musste mit mehreren Kopfplatzwunden und einer Thorax- und Herzprellung stationär behandelt werden. In zweiter Instanz verurteilte das Landgericht Hannover Marco S. im November 2010 wegen dieses Angriffs zu 22 Monaten Haft.

Ein Fall tödlicher sexualisierter Gewalt gegen eine politische Gegnerin ist der Mord an der damals 19-jährigen Patricia Wright am 3. Februar 1996 in Bergisch-Gladbach (Nordrhein-Westfalen). Der bekennende Neonazi Thomas Lemke (28) hatte die junge Frau bei der Suche  nach politischen Gegnern auf einem Bahnhof wegen eines „Nazis Raus“ Aufnähers an ihrer Jacke gezielt angesprochen, sich als Antifa-Aktivist ausgegeben und ihre Adressdaten erfragt. Einige Wochen später besuchte er die 19-Jährige in ihrer Wohnung mit einem drei Jahre jüngeren „Kameraden“. Unter Beschimpfungen wie „Du Hure, Du Schlampe“ bedrohte Lemke die junge Frau mit einem Gewehr, vergewaltigte sie und tötete sie dann mit 91 Messerstichen. Sein Mittäter gab vor Gericht an, er habe Lemke nach dem Tod von Patricia Wright nach seinem Motiv gefragt. Lemkes Antwort: "Linke haben kein Recht zu leben."11 Im März 1997 verurteilte die Schwurgerichtskammer des Essener Landgerichts Lemke unter anderem wegen Mordes und Vergewaltigung von Patricia Wright zu lebenslanger Haft und anschließender Sicherheitsverwahrung.12

Während Patricia Wright seit dem Jahr 2009 auch von der Bundesregierung offiziell als Todesopfer rechter Gewalt anerkannt wird, fällt auf, dass die PMK-Rechts-Statistiken der Strafverfolgungsbehörden seit Jahren keine Sexualstraftaten mit politisch rechter Motivation aufweisen. Führt man sich vor Augen, dass laut der eingangs genannten Studie der EU-Grundrechteagentur ein knappes Viertel aller von sexualisierter Gewalt betroffenen Frauen die Tat nicht zur Anzeige bringen, muss auch im Fall von sexualisierter Gewalt gegen politische Gegnerinnen und Rassismusopfer von einem entsprechenden Dunkelfeld bei der Erfassung ausgegangen werden.13 Aus der Praxis ist bekannt, dass die Hemmschwelle der Betroffenen, nach einem neonazistischen oder rassistischen Angriff auch die sexualisierte Komponente mit anzuzeigen, sehr groß ist. Die Betroffenen wollen die damit verbundene spezifische Erniedrigung – die ein Spezifikum rechter Gewalt in diesem Kontext darstellt und von Tätern entsprechend eingesetzt wird – Dritten gegenüber so gut es geht verbergen. Sexualisierte Gewalt soll die Opfer als Person im Kern treffen, und die Betroffenen wollen gerade diesen Kern nach Außen unbedingt intakt halten.

3.) Szeneinterne sexualisierte Gewalt

In einer durch Männerdominanz, Gewalt und Bedrohung und eine Ideologie der Ungleichwertigkeit geprägten Bewegung wie der extremen Rechten, ist es wenig überraschend, dass sich die Gewalt auch gegen die Frauen richtet, die in der Bewegung aktiv sind und/oder in Partnerschaften mit Aktivisten der extremen Rechten leben. Dies gilt auch für Kinder, die in der extremen Rechten sozialisiert werden.
Sowohl die Berichte von Aussteigerinnen aus der Neonaziszene wie Tanja Privenau, langjährige Lebensgefährtin des bundesweit bekannte Neonaziaktivisten Markus Privenau14 , als auch Prozesse gegen Aktivisten aus der extremen Rechten beschreiben eine Parallelwelt, in der Gewalt gegen Frauen, Mädchen und Kinder zum Alltag gehört. Im Frühjahr 2012 berichtete beispielsweise Ricarda Riefling, langjährige Ehefrau des Neonazi-Kaders Dieter Riefling, auf ihrer Facebook-Seite ausführlich über die Gewalt in ihrer Ehe. Neben Beschreibungen einzelner Angriffe durch ihren Ehemann – Ricarda Riefling schrieb unter anderem von einem Nasenbeinbruch durch Schläge mit einem Schraubenschlüssel, Tritten in den Bauch während einer Schwangerschaft und Schlägen – erklärte sie auch, dass sie zwar mehrfach die Polizei per Notruf verständigte, im Nachhinein jedoch die Anzeigen zurückzog beziehungsweise keine Aussagen mehr machte, um ihre Ehe nicht zu gefährden.
Ein weiteres Beispiel ist ein Prozess zum Jahresende 2011/Jahresanfang 2012 am Amtsgericht Pirmasens gegen einen 27-jährigen NPD-Wahlkampfhelfer und ehemaligen Bewohner des so genannten „Haus der Demokratie“, einem NPD-Treffpunkt in Herschberg (Landkreis Südwestpfalz). Im Verfahren wurde deutlich, dass dieser nicht nur die 13-jährige Tochter eines „Kameraden“ sexuell missbraucht hatte, sondern dass die 13-jährige und ihre Schwester auch aufgrund der häuslichen Gewalt in ihrer Familie schließlich durch das Jugendamt in einer Pflegefamilie untergebracht worden waren.15 Das Landgericht Zweibrücken verurteilte den Täter schließlich im Dezember 2013 zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und acht Monaten. Weitere Beispiele finden sich u.a. in „Mythos Kameradschaft“ von Andreas Speit16 ,der unter anderem von Gewalt betroffene (ehemalige) Aktivisten und Aktivistinnen der Freien Kameradschaften befragte, sowie in Veröffentlichungen von Renate Bitzan und Michaela Köttig.17

Darüber hinaus wurden kürzlich mehrere Fälle von Neonazis bekannt, die ihren Lebensunterhalt – und teilweise ihre politischen Aktivitäten – durch Prostitution und Frauenhandel verdienen – wie beispielsweise die thüringisch-österreichische Neonazigruppe „Objekt 21“.18 Dies sind keineswegs Einzelfälle oder neue Trends. Schon in den frühen 1990er Jahren fielen Aktivisten des Thüringischen Heimatschutzes im Kreis Rudolstadt-Saalfeld dadurch auf, dass sie Bordelle betrieben, im deutsch-tschechischen Frauenhandel mitmischten und parallel dazu Wehrsportgruppen aufbauten und mit regelmäßigen Überfällen Linke und antifaschistisch Aktive terrorisierten.19 Das gleiche gilt für Brandenburg, wo Neonazis u.a. in Potsdam lange Jahre den Straßenstrich kontrollierten.20

Fazit: Wahrnehmungslücken schließen

Angesichts der immer wiederkehrenden NPD- und Neonazi-Kampagnen rings um das Thema Kindesmissbrauch und der dazu massiv im Widerspruch stehenden sozialen Praxis in der extremen Rechten21 , sowie angesichts der generellen Widersprüche und Brüche im Frauenbild der extremen Rechten, haben antifaschistische und zivilgesellschaftliche Initiativen in den letzten Jahren eine Reihe von hilfreichen Readern und Handreichungen zum Thema veröffentlicht. Dazu gehören unter anderem die Handreichung „Sexueller Missbrauch und Umgang mit der Nazikampagne ‚Todesstrafe für Kinderschänder’“22 des Kulturbüro Sachsen e.V. oder die Handreichung „Instrumentalisierung des Themas sexueller Missbrauch durch Neonazis“ der Fachstelle Gender und Rechtsextremismus.23

Was derzeit fehlt, ist eine bundesweite oder zumindest ostdeutschlandweite Erhebung von Frauenhäusern unter dem Gesichtspunkt, inwieweit die Zahl in der extremen Rechten sozialisierter Frauen unter den Bewohnerinnen von Frauenzufluchtshäusern in den vergangenen Jahren zugenommen hat. Bekannt gewordene Fälle verweisen darauf, dass dies zumindest in ostdeutschen Flächenländern nicht ungewöhnlich ist – und mutmaßlich auch zu Spannungen unter der heterogenen Bewohnerinnenschaft der Frauenhäuser führt: So präsentierte sich beispielsweise eine Zeugin im Prozess um den Totschlag an dem 18-jährigen Marcel W. am 24. August 2008 in Bernburg vor dem Landgericht Magdeburg als „überzeugte Nationalsozialistin“. Als Meldeadresse gab die junge Frau ein Frauenhaus in der Umgebung an, deren Sozialarbeiterin begleitete die 21-Jährige auch zum Prozess.24

Mehr Aufmerksamkeit und Forschung gibt es dagegen seit einem knappen Jahrzehnt zu rechten Frauen als (Mit-)Täterinnen bei neonazistischen und rassistischen Gewalttaten.25 Seit 2012 wird der Anteil von Täterinnen bei PMK-Rechts Straf- und Gewalttaten auch in parlamentarischen Anfragen der Linken abgefragt – und liegt in der behördlichen Erfassung im Durchschnitt bei 8 bis 11 Prozent.26 Auch hier ist nach wie vor von einem Dunkelfeld und damit einer höheren Beteiligung von Frauen an politisch rechts und rassistisch motivierten Gewalttaten auszugehen.
Für die pädagogische Praxis, aber auch die institutionelle Arbeit heißt das, Frauenhass in der extrem rechten Ideologie konsequenter herauszustellen und zu bearbeiten sowie Frauenhass als Faktor im Weltbild von Jugendlichen und Erwachsenen zu berücksichtigen, die in der extremen Rechten sozialisiert wurden beziehungsweise werden und dort aktiv sind. Für die Praxis der Strafverfolgungsbehörden müssten diese Erkenntnisse auch Konsequenzen haben: Nämlich Frauenhass als PMK-Rechts Merkmal mehr zu berücksichtigen – und den Anteil extrem rechter Frauen bei Straf- und Gewalttaten präziser zu erfassen.

Dieser Text ist ein Vorabdruck aus: Debus, Katharina/Laumann, Vivien (Hrsg.) (2014, i.V.): Rechtsextremismus, Prävention & Geschlecht. Vielfalt_Macht_Pädagogik. Reihe Arbeitspapiere der Hans-Böckler-Stiftung. Düsseldorf.

Literatur:

Andreasch, Robert, „Möckenlohe: Der mutmaßliche Mörder ist ein Neonazi“. In: www.aida-archiv.de [Zugriff 3.4.2014].

Birsl, Ursula, „Rechtsextremistische Gewalt: Mädchen und junge Frauen als Täterinnen?
Wissenschaftliche Erkenntnisse und offene Fragen,“ In: Terrorismus und Gender (Hgs. Jaschke, Hans-/ Fuhrich-Grubert, Ursula), Berlin 2012.

Bitzan, Renate (Hg.), Rechte Frauen. Skingirls, Walküren und feine Damen, Berlin 1997.

Bitzan, Renate/Köttig, Michaela/Schröder, Berit (2003): Vom Zusehen bis zum Mitmorden. Mediale Berichterstattung zur Beteiligung von Mädchen und Frauen an rechtsextrem motivierten Straftaten; In: Zeitschrift für Frauenforschung und Geschlechterstudien; 21 Jg.; H. 2+3; S. 150-170

Jentsch, Ulli/ Sanders, Eike, Nationalistische Moralapostel: Sexismus und Homophobie bei RNF und NPD, in: Berliner Zustände 2008 /Ein Schattenbericht (apabiz e.V./MBR e.V. Hgs.) S. 132 – 140

Köttig, Michaela, Lebensgeschichten rechtsextrem orientierter Mädchen und junger Frauen. Biographische Verläufe im Kontext der Familien und Gruppendynamik, Gießen 2004

Speit, Andreas, Mythos Kameradschaft: gruppeninterne Gewalt im neonazistischen Spektrum. Bildungsvereinigung Arbeit und Leben Niedersachsen Ost, Arbeitsstelle "Rechtsextremismus und Gewalt", Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (Hrsg.), Braunschweig 2005

Willems, Helmut /Steigleder, Sandra, "Täter-Opfer-Konstellationen und Interaktionen im Bereich fremdenfeindlicher, rechtsextremistischer und antisemitischer Gewaltdelikte", Trier 2003

Zgoll, Michael „Zwölf Jahre Haft für Maschseemörder, Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 23.10.2013. [Zugriff 3.4.2014].