Skip to main content

Freispruch im Fall Matthias Z.

Einleitung

Am 13. Dezember 2007 ging der Prozess gegen den Berliner Antifaschisten und Gewerkschafter Matthias Z. (Vgl. AIB Nr. 75) vor dem Amtsgericht Tiergarten mit einem Freispruch zu Ende. Selbst der Vertreter der Staatsanwaltschaft und die Anwälte der rechten Nebenkläger forderten einen Freispruch aus tatsächlichen Gründen für Matthias Z. bezüglich des Vorwurfs der gefährlichen Körperverletzung.

Dem Schüler wurde vorgeworfen an einem Angriff auf die beiden Berliner Neonazis Sebastian Z. und Stephanie P. im November 2006 beteiligt gewesen zu sein. Der gegen ihn erhobene Vorwurf des versuchten Totschlages (später abgemildert in gefährliche Körperverletzung) stützte sich ausschließlich auf die zeugenschaftlichen Aussagen der beiden Neonazis. Diese wollten ihn als Täter auf einem ihrer »Anti-Antifa-Fotos« erkannt haben, obwohl sie selbst bekundeten, dass die tatsächlichen Täter vermummt gewesen seien. Sonstige Beweismittel lagen nie vor. Vor dem Amtsgericht brach die vom Berliner Staatschutz und der Staatsanwaltschaft konstruierte Anklage in sich zusammen.

Zweifelhafte Wertungen des Berliner Staatschutzes mit Folgen

Obwohl die Verhandlung nun wegen gefährlicher Körperverletzung vor dem Schöffengericht am Amtsgericht durchgeführt wurde, war die Tat zunächst als versuchter Totschlag vor dem Schwurgericht angeklagt gewesen. Die Annahme eines Tötungsvorsatzes lag bei der bekannten Sachlage zwar fern, trotzdem wurde die Tat von Beamten des Staatsschutzes als versuchter Totschlag gewertet. Anders als sonst üblich, ist zu keiner Zeit die Mordkommission, sondern der polizeiliche Staatsschutz mit dem Verfahren befasst gewesen. Dies hat sich auf die Ermittlungen ausgewirkt. So wurde etwa eine entlastende DNA-Analyse erst wenige Wochen vor der Hauptverhandlung durchgeführt, obwohl die Verteidigung die Analyse bereits kurz nach der Festnahme beantragt hatte. Auch andere entlastende Ermittlungsergebnisse und Gutachten wurden der Verteidigung erst verspätet nach der ersten Haftprüfung übermittelt. Matthias Z. wurde knapp zwei Wochen lang observiert und sein Telefon überwacht, bevor das LKA seine Wohnung durchsuchte und ihn verhaftete. Für Ermittlungen bei diesem Tatvorwurf ist eine solche Wartezeit vor einer Verhaftung eher unüblich und dürfte dem Wunsch nach möglichst umfassender Ausforschung linker Strukturen Rechnung getragen haben.

Auf der Grundlage des überzogenen Tatvorwurfes sind auf Antrag der politischen Abteilung der Staatsanwaltschaft mehr als 100 Tage Untersuchungshaft gegen Matthias Z. vollstreckt worden, obwohl die Verteidigung bereits dargelegt hatte, dass eine sachgerechte Würdigung des Geschehens die Annahme des Tötungsvorsatzes von vornherein verbietet und überdies jedenfalls von einem strafbefreienden Rücktritt vom versuchten Tötungsdelikt auszugehen wäre. Es ist nach Auffassung der Anwälte unverständlich, dass es erst einer Entscheidung des Schwurgerichts bedurfte, den Tatvorwurf in der gebotenen Weise zu begrenzen. Dabei war es der Argumentation der Verteidigung gefolgt und hatte Matthias Z. vom weiteren Vollzug der Untersuchungshaft verschont.

Auch an anderer Stelle agierte die Staatsanwaltschaft zweifelhaft. Entgegen eines Beschlusses des Landgerichtes Berlin erhielten die Anwälte der als Nebenkläger auf tretenden Neonazis komplette Akteneinsicht in die ungeschwärzten Ermittlungsakten von Matthias Z. Seine Verteidigung hatte vorher u.a. darauf hingewiesen, dass in der Kanzlei eines Nebenklägeranwaltes mit Mandy L. eine Aktivistin der neonazistischen Kameradschaftsszene beschäftigt gewesen sein soll, die zum direktem Umfeld von Sebastian Z. und Stephanie P. gehörte.

Einseitige Ermittlungen – Fehler oder Absicht ?

Im Laufe des Verfahrens benannte die Verteidigung von Matthias Z. diverse Ermittlungslücken des Berliner Staatschutzes. So machte sie öffentlich, dass das »Anti-Antifa-Foto« mit dem Matthias Z. belastet wurde, bereits zu einem früheren Zeitpunkt von dem bekannten Neonazi Björn W. genutzt wurde, um Matthias Z. einer Bedrohung zu bezichtigen. Auch eine mögliche Belastungstendenz von Sebastian Z. gegenüber Matthias Z. lag auf der Hand: Matthias Z. war in einem Verfahren wegen eines Neonaziüberfalls auf einen linken Infostand Hauptbelastungszeuge gegen Sebastian Z. Zusätzlich setzte die Verteidigung die Beiziehung des sogenannten Piccolo-Verfahrens durch. In diesem ging es um einen Angriff auf die als rechten Treffpunkt bekannte Piccolo Bar in Lichtenberg. Durch dieses Verfahren konnte belegt werden, dass die Nebenklägerin Stephanie P. bereits in der Vergangenheit behauptet hatte, sie habe innerhalb von wenigen Sekunden gleich sechs vermummte Angreifer, die sie bei Dunkelheit und überdies nur aus größerer Entfernung gesehen haben kann, genau erkennen und namentlich benennen können.

Eine neutrale Anwohnerin versicherte jedoch, ganz sicher niemanden auf dem Balkon gesehen zu haben, von dem Stephanie P. die Tat beobachtet haben will. Selbst der vernehmende Beamte des Staatschutzes schenkte den Behauptungen in diesem Verfahren keinen Glauben und verzichtete auf die Einleitung von Ermittlungsverfahren gegen die denunzierten Antifaschisten. Offenbar wurden die Neonazi-Zeugen von vornherein als unglaubwürdig und deren Angaben als zweifelhaft eingeschätzt. Ein Verfahren gegen die Neonazi-Frau wegen falscher Verdächtigung einzuleiten kam dem Staatschutz jedoch nicht in den Sinn. Möglicherweise wollte man in der Dienstelle nicht riskieren, dass die Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugin Stephanie P. der Verteidigung oder dem Haftrichter von Matthias Z. bekannt werden.

Zweierlei Maß ?

Wenige Minuten nachdem Stephanie P. durch den Staatschutzbeamten als Zeugin im »Piccolo Verfahren« vernommen worden war, wurde sie als Belastungszeugin gegen Matthias Z. von dem selben Beamten vernommen. Der Beamte war Bearbeiter beider Verfahren. Im Verfahren gegen Matthias Z. schenkte er den Aussagen auf einmal uneingeschränkt Glauben und nahm ihr ab, dass sie Matthias Z. trotz Vermummung innerhalb von Sekunden wiedererkannt habe. Er konnte dem Gericht und der Verteidigung nicht erklären, warum er diese offenkundigen Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugin als Bearbeiter des gegen Matthias Z. geführten Verfahrens nicht mit einem Wort aktenkundig gemacht hatte. Dieses Versäumnis wiegt umso schwerer, als gegen Matthias Z. zum Zeitpunkt der Vernehmung bereits Untersuchungshaft vollstreckt wurde. Dieses war dem vernehmenden LKA-Beamten, der den Haftbefehl nur wenige Tage zuvor selbst angeregt hatte, auch bekannt. Ein anderer Staatsschützer versuchte erfolglos vor Gericht darzulegen, dass eine Matthias Z. entlastende Auswertung seiner Telefonverbindungen ein Indiz für seine Täterschaft sei, da er zum Tatzeitpunkt absichtlich nicht telefoniert habe.

Kritik

Diese Ermittlungsmethoden wurden durch die Verteidigung scharf kritisiert. Rechtsanwalt Dr. Gercke berichtete von Aussagen des damals die Ermittlungen führenden Staatsanwaltes, der bereits beim ersten Haftprüfungstermin erklärt habe, man müsse ein Zeichen gegen politische Gewalt im Lichtenberger Weitlingkiez setzen. Rechtsanwalt Daniel Wölky legte in seinem Plädoyer dar, dass es explizite Strategie der Anti-Antifa ist, politische Gegner willkürlich schwerer Straftaten zu bezichtigen. Rechtsanwalt Dr. Pananis verwies auf die schwerwiegenden Folgen der monatelangen Untersuchungshaft für Matthias Z. Die Sprecher der Solidaritätsgruppe Freiheit für Matti, Stefan Jakob und Marina Kochova, erklären hierzu: »Der Prozessverlauf hat gezeigt, dass der Staatsschutz nicht davor zurückschreckt, unseriöse Ermittlungsmethoden einzusetzen und dabei auch die Inhaftierung Unschuldiger in Kauf zu nehmen.« Nach dem Freispruch fordern Politiker, Gewerkschafter und Antifaschisten die Aufklärung der skandalösen Hintergründe für dessen Inhaftierung und Anklage.

Skandalös bleiben die unseriösen Ermittlungsmethoden der LKA-Beamten, die entlastende Hinweise nicht nur ignorierten, sondern stattdessen Akten durch später eingefügte Vermerke »frisierten«. Auch der Landesbezirk Berlin-Brandenburg der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) betonte, dass die Ermittlungen des LKA, das eingeleitete Verfahren und die Untersuchungshaft von 101 Tagen zahlreiche Fragen aufwerfen und mehr als einen schalen Nachgeschmack hinterlassen würden.

Ver.di erwarte von der Staatsanwaltschaft und vom LKA eine Erklärung und personelle Konsequenzen. »Für uns besteht noch immer der Verdacht, dass Rechtsextremisten die Justiz missbrauchen, um Jagd auf Antifaschisten und Gewerkschafter zu machen«, betonte Andreas Köhn, stellvertretender ver.di-Landesbezirksleiter Berlin-Brandenburg. Die Berliner Abgeordnete Evrim Helin Baba (DIE LINKE) wies nach dem Urteil darauf hin, dass das Gericht ganz offensichtlich sowohl den Staatsschutz als auch die Staatsanwaltschaft nicht ganz leer ausgehen lassen wollte und Matthias Z. wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz zu 120 Tagessätzen à 10 Euro verurteilte, obwohl diese Verurteilung aus einem von Anfang an rechtsstaatlich problematischen Ermittlungsverfahren stammte. Die Entscheidung der Verteidigung in Berufung gehen zu wollen sei dementsprechend folgerichtig. Auch Kristina Tiek von den kritischen JuristInnen der FU-Berlin bezeichnete diese Verurteilung des (nicht vorbestraften) Matthias Z. als deutlich zu hoch und nicht schuldangemessen.