Der Fall Oury Jalloh
Rechtsanwältin Regina GötzBundesgerichtshof in Karlsruhe hebt Urteil auf
Am 7. Januar 2010, dem 5. Todestag von Oury Jalloh, hat der Bundesgerichtshof den Freispruch für den Dessauer Polizeibeamten Andreas S. aufgehoben. Diese Entscheidung kam zumindest für die RechtsanwältInnen der Angehörigen von Oury Jalloh vollkommen unerwartet.
In den frühen Morgenstunden des 7. Januar 2005 wurde Oury Jalloh stark alkoholisiert in Dessau festgenommen. Die Polizisten brachten ihn in eine Zelle, dort wurde er mit Armen und Beinen an Wand und Fußboden angekettet. Gegen 12 Uhr brach in der Zelle unter ungeklärten Umständen ein Brand aus. Oury Jalloh starb in den Flammen. An diesem Tag war Andreas S. der Dienstgruppenleiter im Polizeigewahrsam Dessau. Das Landgericht Dessau hatte ihn nach 58 Verhandlungstagen am 8. Dezember 2008 vom Vorwurf der versuchten Körperverletzung mit Todesfolge freigesprochen. In der Anklageschrift war ihm vorgeworfen worden, den Alarm der Rauchmeldeanlage ignoriert zu haben und erst viel zu spät nach unten in den Gewahrsamstrakt gegangen zu sein, so dass Oury Jalloh im Keller des Polizeigebäudes verbrannte.
Das Verfahren vor dem Landgericht Dessau war davon geprägt, herausfinden zu wollen, ob Andreas S. das Leben Oury Jallohs hätte retten können, wäre er schnell genug vom Dienstgruppenleiterraum im ersten Stock des Gebäudes in den Keller gegangen. Dies führte letztlich zu einem Gefeilsche um Sekunden. Wirkliche Ansätze zur Klärung, wie es zum Brandausbruch hatte kommen können, gab es nicht, da sich Staatsanwaltschaft und Gericht schon früh auf die Hypothese festgelegt hatten, Oury Jalloh habe die Matratze auf der er lag, selbst angezündet. Das Landgericht war zu der Überzeugung gelangt, man könne Andreas S. keinen Tatvorwurf machen, da dieser ohne unnötiges Zögern reagiert habe. Die Aussage der Polizeibeamtin Beate H., die Andreas S. in ihrer ersten Vernehmung stark belastet hatte und angegeben hatte, dieser habe mehrfach den Rauchalarm ausgedrückt und sei erst nach Beginn des Alarms der Lüftungsanlage – 120 Sekunden nach Ausbruch des Brandes - in Richtung Keller losgegangen, berücksichtigte das Landgericht überhaupt nicht. Im Laufe der folgenden Vernehmungen hatte diese Zeugin ihre ursprünglich belastende Aussage Schritt für Schritt zurückgenommen. Dass sie Druck von Seiten ihrer Kollegen und Kolleginnen ausgesetzt worden sei, bestritt sie, ebenso wie alle anderen PolizeizeugInnen, die dazu gehört wurden.
In der mündlichen Urteilsbegründung hatte der Vorsitzende des Landgerichts noch verkündet: »Wir hatten nicht die Chance auf ein rechtsstaatliches Verfahren, auf die Aufklärung des Sachverhaltes.« Erschreckend seien die Falschaussagen der Beamten, die dem Land Sachsen-Anhalt schadeten und die dort nichts mehr zu suchen hätten. Davon war im schriftlichen Urteil des Landgerichts Dessau nichts mehr zu lesen. Kein Wort davon, dass seitens der Polizeiführung massiv versucht worden war, in die Meinungsbildung der Zeugen einzugreifen, kein Wort davon, dass von sämtlichen PolizeizeugInnen gemauert bis gelogen worden war, kein Wort davon, dass die Brandschutzvorschriften im Polizeigewahrsam Dessau missachtet worden waren. Gegen das Urteil legten sowohl die Staatsanwaltschaft Dessau als auch sämtliche NebenklagevertreterInnen Revision ein. Hauptbegründung der Revision der Nebenklage war, dass die Beweiswürdigung fehlerhaft gewesen sei. Insbesondere hätte die Aussage der zentralen Belastungszeugin H. anders gewürdigt werden müssen. Es hätte berücksichtigt werden müssen, dass der Inhalt ihrer ersten, relativ unbeeinflussten Aussage vom Tattag mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit der Wahrheit am nächsten kam, dass die Zeugin vermutlich unter einem starken Druck seitens ihrer KollegInnen stand und deshalb ihre Aussage Stück für Stück zurückgenommen hatte.
Der Bundesgerichtshof hat nun das Urteil des Landgerichts Dessau aufgehoben. Bisher liegt die schriftliche Begründung nicht vor. In der mündlichen Begründung hieß es, das Urteil habe erhebliche Lücken. Es enthalte keine Feststellungen darüber, wie es genau möglich gewesen sei, die Matratze in Brand zu setzen, es enthalte keine Feststellungen, welchen Bewegungsspielraum der Gefangene mit seiner rechten Hand gehabt habe. Zentral war für den Senat die Frage, wie Oury Jalloh das Feuer selbst gelegt haben sollte, ohne dabei schmerzhafte Verbrennungen an der rechten Hand zu erleiden. Wenn er aber Brandverletzungen gehabt hätte, wären die Schmerzensschreie über die akkustische Zellenüberwachung im Raum des Dienstgruppenleiters zu hören gewesen. Gegen einen lautlosen Todeskampf sprechen die Stellungnahmen der medizinischen Sachverständigen. Wenn jedoch vorher Schmerzensschreie zu hören gewesen wären, stelle sich – so die Vorsitzende – die Frage nach früheren Rettungsmöglichkeiten.
An dieser Stelle sprach die Vorsitzende sogar von einem möglichen »Einwirken dritter Personen«, eine Variante, die das Landgericht Dessau vollkommen ausgeschlossen hatte. Lückenhaft seien die Feststellungen des Urteils auch hinsichtlich des Brandverlaufs, es sei unklar, was mit dem Terminus »Brandausbruch« gemeint sei, möglich sei auch ein verzögerter Brandverlauf. Nach Auffassung des Senats sei nicht von einem pflichtgemäßen Verhalten des Angeklagten auszugehen, er hätte nach dem ersten Anschlagen des Alarms sofort losgehen müssen und hätte nicht noch mit Kollegen telefonieren dürfen. Weiter monierte der Senat, das Gericht habe sich nicht mit der Entwicklung der Aussage der Hauptbelastungszeugin H. auseinandergesetzt, insbesondere nicht mit den Auswirkungen des bei der Polizei vorhandenen Korpsgeistes. Das Verfahren wurde an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts Magdeburg zurückverwiesen.
Der Ausgang ist vollkommen offen, wobei natürlich die Schwierigkeit darin liegt, dass seit dem Tattag schon fünf Jahre vergangen sind und die Erinnerung der ZeugInnen immer schlechter wird. Insofern wird das Geschehen immer schwieriger aufzuklären sein. Zeitgleich zum Verfahren in Karlsruhe erfolgte ein neuer Repressionsschlag gegen das Telecafé in Dessau, welches früher Mouctar Bah, Mitbegründer der »Initiative Oury Jalloh«, gehörte und ein Treffpunkt der Schwarzen Community von Dessau ist. Am 16. Dezember 2009 kam es hier zu einem Polizeieinsatz mit der Begründung, ein unter Beobachtung stehender Drogendealer hätte das Café betreten und man müsse nunmehr potentielle Konsumenten ausfindig machen. Ein Dursuchungsbeschluss wurde nicht für erforderlich gehalten, da es sich bei dem Telecafé um einen »verrufenen Ort« handle (was auch immer das für ein juristischer Begriff sein mag). Hierbei stürmten 15 Bereitschaftspolizisten in das Café - teilweise wurden Besucher gezwungen sich vollständig zu entkleiden. Im Nachhinein entschuldigte sich die Polizeiführung wegen des Einsatzes – die Durchsuchung der Personen sei rechtswidrig gewesen. Interessanterweise häufen sich solche Einsätze immer in den Zeiträumen, in denen im Verfahren wegen Oury Jalloh Wesentliches passiert. So kann man den Eindruck bekommen, es solle hier die gesamte UnterstützerInnenszene in Verruf gebracht werden.