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Schlagt die Sudeten mit den Beneš-Dekreten!

Einleitung

Rot-Grün und die Beneš-Dekrete

Selbst die Vertreter der konservativen Oppositionsparteien im tschechischen Parlament fürchteten einen Wahlerfolg Edmund Stoibers, denn das Wahlprogramm der CDU/CSU beinhaltete die Forderung nach Aufhebung der so genannten Beneš-Dekrete. Auch wenn dieser schlimmste Fall nicht eingetreten ist: Unter einer erneuten rot/grünen Regierung mehren sich sowohl aggressive Positionen der bayerischen Nebenaußenpolitik als auch solche der offiziellen Regierungspolitik gegenüber Tschechien.

Der ehemalige Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) bekam 2009 die BdV-Ehrenplakette für besondere Verdienste im Sinne des BdV verliehen.

Die deutsche Außenpolitik – auch eine mit einem grünen Außenminister an der Spitze – identifiziert sich fast 60 Jahre nach der Beendigung des 2. Weltkrieges mit den Zielen der Revanchistenorganisationen. Schily und der CDU/CSU-Kanzlerkandidat Stoiber beschworen mit ihren Auftritten auf dem Sudetendeutschen Tag dieses Jahres eine Geisterstunde deutscher Außenpolitik herauf. Beide stellten de facto die Revision der Ergebnisse des 2. Weltkrieges als außenpolitisches Ziel gegenüber Tschechien heraus. Bereits zuvor hatte nicht nur die direkt betroffene Tschechische Republik, sondern auch die USA, Großbritannien und Rußland ihren entschiedenen Widerstand gegen eine solche deutsche Außenpolitik angekündigt. Doch Deutschland, Österreich und Ungarn verfolgen weiter ihre Erpressungspolitik gegenüber Tschechien, das bereits 1938/39 einmal ihr gemeinsames Opfer war.

Die Auseinandersetzung zwischen Tschechien und einer deutsch-österreichischen Koalition

Die Tschechische Republik sah sich seit Beginn diesen Jahres einem erheblich wachsenden politischen Druck durch die alten Achsenmächte des 2. Weltkrieges Deutschland, Österreich und Ungarn ausgesetzt. Man forderte die Aufhebung der Beneš-Dekrete und eine Wiedergutmachung für das angeblich erlittene Unrecht bei der Aussiedlung der Sudetendeutschen und Ungarn nach dem 2. Weltkrieg. Schließlich platzte dem damaligen sozialdemokratischen tschechischen Ministerpräsidenten Milos Zeman Anfang 2002 in einem Interview mit dem österreichischen Nachrichtenmagazin »Profil« der Kragen.

Die Wellen in der deutschen und österreichischen Publizistik schlugen hoch. Dabei äußerte Zeman nur eine historische Wahrheit, als er die Sudetendeutschen in jenem Interview als fünfte Kolonne Hitlers1 bezeichnete, die die einzige Insel der Demokratie in Mitteleuropa zerstört habe. Die Ausweisung der Sudetendeutschen nach dem 2. Weltkrieg, so Zeman weiter, sei deshalb eine vergleichsweise milde Strafe gewesen, denn auf Landesverrat habe die Todesstrafe gestanden. Gerhard Schröder sagte daraufhin seinen für März geplanten Besuch in Tschechien ab. Statt Schröder erschien der britische Premierminister Tony Blair Anfang April zu einen Blitzbesuch, um Tschechien demonstrativ gegen den politischen Druck der alten Achsenmächte den Rücken zu stärken.

Rot-Grün ergreift Partei gegen Tschechien

Während sich der Druck aus Ungarn nach der Abwahl des bürgerlichen ungarischen Regierungschefs Viktor Orban verringert hat, verstärkt sich der Druck aus Deutschland stetig. Erstmals forderte auf dem Sudetendeutschen Tag mit Innenminister Schily auch ein Vertreter der rot-grünen Bundesregierung die Aufhebung der Beneš-Dekrete. Schily blies damit in dasselbe Horn wie Edmund Stoiber, der die Aufhebung der Beneš-Dekrete sogar als Voraussetzung für eine Aufnahme Tschechiens in die EU forderte.2 Dass weder von Schröder noch von Fischer Kritik an den Äußerungen Schilys geübt wurde – schließlich stehen sie im Widerspruch zur offiziellen außenpolitischen Position von Rot/Grün – muß als »bedenkliche« Entwicklung gewertet werden.

Zeitgleich, während die bundesdeutsche Politprominenz der Sudetendeutschen Landsmannschaft nach dem Mund redete, besuchte Milos Zeman eine Gedenkfeier im ehemaligen KZ Theresienstadt. Hier stellte er erneut klar, dass die Sudetendeutschen, die als Hitlers fünfte Kolonne direkt oder indirekt den 2. Weltkrieg ausgelöst hätten, von den Tschechen nicht in Konzentrationslager sondern nur dorthin geschickt worden seien, wo sie hinwollten, nämlich »heim ins Reich«.3

Tschechien erhält die Unterstützung der Siegermächte

Noch vor der Wahl zum neuen tschechischen Parlament am 14. und 15. Juni, aus der die tschechischen Sozialdemokraten als Sieger hervorgingen, einigten sich alle im tschechischen Parlament vertretenen Parteien auf eine gemeinsame Resolution. Die Abgeordneten von der bürgerlich konservativen Rechten bis hin zu den Kommunisten stellten Ende April einstimmig fest, dass die Beneš-Dekrete unantastbar und unveränderlich sind und dass sie »eine Öffnung der Fragen, die mit dem Ende und den Ergebnissen des Zweiten Weltkrieges zusammenhängen, ablehnen«.4

Tschechien erhielt auch bei den neuerlichen Angriffen aus Deutschland und Österreich die Unterstützung des Westens. Die Ergebnisse der Potsdamer Konferenz, auf der die Aussiedlung der Deutschen beschlossen wurde, seien unstrittig und hätten weiterhin ihre Berechtigung, so Blair. Blair stellte weiter im Einklang mit den tschechischen Parlamentariern klar, dass die europäische Nachkriegsordnung unantastbar sei.5 Eine Woche später sprang auch der russische Präsident Putin Tschechien bei. Fern von jeder Realität seien die Versuche bestimmter Kräfte, die Ergebnisse des 2. Weltkrieges zu revidieren, so hieß es aus Moskau.6 Diesen Positionen schloss sich am 25. April auch das US-Außenministerium an.7

Ziel: Die Revision der Ergebnisse des 2. Weltkrieges

Um eine Revision der Ergebnisse des 2. Weltkrieges geht es der großen außenpolitischen Koalition von rot-grüner Bundesregierung bis hin zur CSU und ihrem Schützling, der Sudetendeutschen Landsmannschaft in Deutschland und der FPÖ/ÖVP- Regierung in Österreich. Dennoch existiert ein entscheidender Unterschied zwischen den Positionen der rot-grünen Bundesregierung auf der einen Seite sowie der Sudetendeutschen Landsmannschaft, der CDU/CSU und der österreichischen FPÖ/ÖVP-Regierung auf der anderen Seite. Während Rot-Grün »nur« eine Aufhebung der eine klare antifaschistische Sprache sprechenden Beneš-Dekrete von jetzt an fordert, will der rechte Teil der großen außenpolitischen Koalition deren Aufhebung von Beginn an, garniert mit Entschädigungsforderungen für angeblich erlittenes Unrecht durch die Beneš-Dekrete.

Würde diese ungeheuerliche Forderung durchgesetzt, bedeutete dies das wirtschaftliche und politische Ende der Tschechischen Republik. Deutschland und die Sudetendeutschen würden in den juristischen Stand von vor dem Ende des 2. Weltkrieges zurückversetzt, die gesamte Eigentumsordnung in der Tschechischen Republik würde auf den Kopf gestellt. Quasi ein zweites Münchner Abkommen8 , durch das einst die faschistische Okkupation der Tschechoslowakei eingeleitet wurde, würde abermals dem kleinen östlichen Nachbarn Deutschlands das Ende bereiten.

Eine neue fünfte Kolonne wird installiert

Wie vor dem Münchner Abkommen versucht auch heute jener kleinere Teil der ehemaligen Sudetendeutschen, der sich in der Sudetendeutschen Landsmannschaft (SL) organisiert hat, eine fünfte Kolonne in Tschechien zu installieren. Unterstützung erfahren sie dabei von ihrem Schirmherrn, dem Land Bayern, dem Bund der Vertriebenen, sowie der Föderalistischen Union Europäischer Volksgruppen (FUEV).9 Flankiert werden diese revanchistischen Umtriebe durch die Abgeordneten der Paneuropa-Union im Europa-Parlament, die Anträge gegen Tschechien und für ein europäisches Volksgruppenrecht einbringen.

Die SL versucht innerhalb Tschechiens politischen Druck aufzubauen. Dazu bedient sie sich der »Landesversammlung der Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien« (LV), der gut 5.000 der ca. 38.000 »Deutschstämmigen«10 in Tschechien angehören. Ausgestattet mit Geldern aus Schilys Innenministerium und aus Bayern, geschult von bundesdeutschen Berufsvertriebenen und als Teil des FUEV-Netzwerkes agiert die LV als verlängerter Arm der SL in Tschechien. Höhepunkt einer konzertierten Aktion von SL und LV ist eine Petition vom Sommer 2001, die der damalige Vorsitzende der LV und Deutschtums-Hardliner, Hans Korbel11 formulierte, und in der die LV verlangt, die Benes-Dekrete aufzuheben.

Die Forderungen der LV wurden 2002 vom tschechischen Petitionsausschuss als nicht verhandelbar abgewiesen. Dennoch: Mit Stoiber als Bundeskanzler hätte das revanchistische Treiben der Sudetendeutschen und der von ihnen abhängigen, völkisch definierten deutschen Minderheit in Tschechien weiteren Auftrieb erhalten. Mit Stoiber als bayerischem Ministerpräsident und Schily als Bundesinnenminister darf man sich allerdings sicher sein, dass weiter gegen die Benes-Dekrete, die eine Grundlage des Tschechischen Staates darstellen, gearbeitet wird.

Die Beneš-Dekrete

In der Zeit vom Juli 1940 bis Oktober 1945 wurden von der tschechischen Regierung, die sich bis 1945 im britischen Exil befand, 143 Dekrete herausgegeben. Mit diesen Dekreten dokumentierte die CSR ihren rechtlichen Fortbestand über die Zeit der Okkupation durch Deutschland hinaus und sicherte anschließend bis zum erstmaligen Zusammentreten des tschechoslowakischen Parlamentes nach dem 2. Weltkrieg im Oktober 1945 die gesetzgebende Gewalt in der Tschechoslowakei. Von den 143 Dekreten betrafen ca. dreizehn die in der Tschechoslowakei lebenden Sudetendeutschen und Ungarn.

Alle Dekrete, die sich mit den Sudetendeutschen und Ungarn, die vor und während des 2. Weltkrieges als faschistische fünfte Kolonne agierten, befassen, gehen nicht von einer Kollektivschuld dieser Bevölkerungsteile aus. Vielmehr waren von diesen Dekreten auch jene Tschechen und Slowaken betroffen, die mit den Besatzern kollaborierten, während antifaschistische Sudetendeutsche und Ungarn von ihnen ausdrücklich ausgenommen wurden. Zudem ist in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass bei den letzten freien Wahlen in der Tschechoslowakei vor dem Münchener Diktat vom Oktober 1938 über 70% der Sudetendeutschen, in einigen Gemeinden auch über 90%, für Henlein als Stellvertreter Hitlers votierten.

In der bundesdeutschen Öffentlichkeit vielfach falsch dargestellt ist auch die Tatsache, dass nicht die Beneš-Dekrete die rechtliche Grundlage der Umsiedlung der Sudetendeutschen und Ungarn aus der CSR bildeten. Die Umsiedlung war vielmehr auf der Potsdamer Konferenz am 2. August 1945 beschlossen worden. Die Teilnehmer dieser Konferenz waren sich darüber einig, dass »die Überführung der deutschen Bevölkerung oder Bestandteile derselben, die in Polen, Tschechoslowakei und Ungarn zurückgeblieben sind, nach Deutschland durchgeführt werden muß«.12 Die Beneš-Dekrete schränkten den Aussiedlungsbeschluss von Potsdam sogar ein, indem sie Antifaschisten von der Aussiedlung ausnahmen.

  • 1Zum Begriff der fünften Kolonne: Als »fünfte Kolonne« bezeichnet man eine Untergrundorganisation, die in Zeiten internationaler Spannungen oder im Krieg mit Kräften außerhalb des Landes zusammenarbeitet. Der Ausdruck stammt aus dem Spanischen Bürgerkrieg. Als der Faschistenführer Franco mit 4 Kolonnen auf Madrid anrückte, wurden seine Anhänger in der Stadt als fünfte Kolonne bezeichnet.
  • 2Vgl. Süddeutsche Zeitung, 21. Mai 2002. Stoiber hat auf dem Deutschlandtreffen der Ostpreußen, dessen Patenland ebenfalls Bayern ist, am 22./23. Juni 2002 auch gegenüber Polen gefordert, die dortigen »Vertreibungsdekrete« aufzuheben.
  • 3Vgl. ebd.
  • 4Prager Zeitung, 30. April 2002.
  • 5Vgl. Blair: Beneš-Dekrete sind kein Hindernis für Tschechien auf Weg zur EU, Radio Prag, Tagesecho, 9. April 2002.
  • 6Vgl. Radio Prag, Tagesecho, 18. April 2002.
  • 7Vgl. http://www.german-foreign-policy.com.
  • 8Das Münchner Abkommen bestimmte die Abtretung der von den Sudetendeutschen besiedelten Gebiete in Tschechien an das Deutsche Reich. Dieses Abkommen, dem Frankreich und England zustimmten, kam zustande, nachdem Nazideutschland in Kooperation mit dem Sudetendeutschen Faschistenführer Konrad Henlein die Situation an den Rand eines Weltkrieges gebracht hatte und sich England und Frankreich zu einer Befriedungspolitik entschlossen hatten. Nach der Okkupation des verbliebenen tschechischen Rumpfstaates im März 1939 wurde dieses Abkommen international als von Beginn an ungültig erklärt. Allein die Bundesrepublik Deutschland beharrt noch heute darauf, dass dieses Abkommen nicht von Beginn an nichtig gewesen sei und stützt damit weiterhin Ansprüche der Sudetendeutschen Landsmannschaft.
  • 9Ausführlich zur revanchistischen Außenpolitik der FUEV s.a. AIB Nr.36 (Sep/Okt 1996), S.5.
  • 10Von den ca. 38.000 »Deutschstämmigen« in Tschechien besitzen ca. 25.000 neben ihrer tschechischen auch die deutsche Staatsangehörigkeit, die ihnen nach 1990 vom BMI auf Antrag verliehen wurde.
  • 11Korbel steht auch der Bohemia-Stiftung vor, die mit Millionenbeträgen aus Deutschland »deutschstämmige« Unternehmer in Tschechien unterstützt.
  • 12Vgl. Punkt XIII des Potsdamer Abkommens: www.bundestag.de/info/parlhist/dok16.html.